Katharsia (German Edition)
brenzlig die Lage ist. Wenn ihr frei in der Öffentlichkeit herumspaziert, können wir für eure Sicherheit nicht garantieren.“
Sando seufzte und fügte sich in sein Schicksal.
Im Quartier nutzte er die Stunden der Ruhe für Dinge, für die er sonst kaum Zeit fand. Zunächst begann er, ausgiebig zu duschen und seine Haare mit dem Kamm aus Fatimas rotem Kästchen zu bändigen. Dabei betrachtete er ein wenig selbstverliebt sein Gesicht, das narbenlos aus dem kleinen Spiegel herausschaute. Als er sich an sich selbst sattgesehen hatte, leerte er seinen kokongefütterten Rucksack und stopfte das wenige, was er an Kleidung besaß, in die Waschmaschine, die zu seinem Appartement gehörte. Dann warf er sich nackt aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Der Bombenanschlag auf das Dresdner Kulturzentrum war das Thema Nummer eins in den Nachrichten und wurde meist verbunden mit einem Hinweis auf Vitellis „Punkt“-Sendung.
Schließlich hatte er genug davon und stellte einen Spielfilm ein, dann die Folge einer Seifenoper.
Geweckt wurde er durch das Piepen der Waschmaschine. Draußen war es längst dunkel geworden. Der Fernseher lief noch und tauchte das Zimmer in ein bläulich flackerndes Licht. Schlaftrunken wandelte Sando zur Quelle der Ruhestörung und zerrte die getrocknete Wäsche aus der Trommel. In seinem Magen verspürte er ein leichtes Ziehen, doch die Müdigkeit war stärker als der Hunger.
Als er das nächste Mal geweckt wurde, war es Nabil, der mit einem Tablett im sonnenerhellten Zimmer stand.
„Frühstück!“, rief er gut gelaunt und stellte das Tablett auf den Tisch. „Na, du machst mir Spaß! Hast gestern den ganzen Tag verschlafen, ohne etwas zu essen.“
Sando sprang aus dem Bett. „Danke, Nabil, ich habe einen Mordshunger!“
Mit einer Hand langte er sich ein Stück Käse, mit der anderen eine Scheibe Toastbrot.
Nabil sah ihn entgeistert an. „Vielleicht ziehst du dir erst einmal etwas an?!“
„Geht jetzt nicht“, nuschelte Sando kauend, „siehst ja, ich habe die Hände voll.“
Nabil winkte ab und öffnete das Fenster. „Frische Luft“, brummte er.
„Es wird kalt!“, sagte Sando.
„Dann zieh dir was an.“
„Das ist mein Zimmer. Kannst ja gehen, wenn es dich stört.“
Sando schob mit der Schulter das Fenster zu, während er vom Käse abbiss.
Nabil stand wie ein Fels im Zimmer und rührte sich nicht vom Fleck. „Eine Laune hast du. Ich dachte, du bist ausgeschlafen.“
„Bin ich auch. Du lässt mich nur nicht in Ruhe frühstücken.“
Sando schnappte sich das Tablett und setzte sich aufs Bett.
„Na gut, ich lass dich in Ruhe.“ Nabil ging zur Tür. „Schönen Gruß von Massef soll ich noch ausrichten.“
„He, warte, Nabil!“ Sando stellte das Tablett wieder zur Seite. „Ich habe einen Vorschlag …“
„Und der lautet?“, fragte der Hüne in der geöffneten Tür.
„Ich ziehe mich an und du erzählst von Massef.“
Nabil grinste. „Geht doch!“ Er setzte sich an den Tisch und wartete, bis sich Sando die frisch gewaschenen, aber nicht ganz knitterfreien Sachen übergestreift hatte. „Also …“, begann er, während Sando das Tablett wieder vom Bett holte. „Erinnerst du dich an die Großbaustelle bei Makala?“
„Ja, natürlich, der künftige Vergnügungspark. Der Besitzer … Wie hieß er doch gleich? Jamal al Din … Er hält Maria auf seinem Grundstück fest.“
Nabil nickte. „Massef berichtet, dass es auf Jamal al Dins Baustelle eine gewaltige Explosion gegeben hat. Sie soll einen tiefen Krater gerissen haben.“
„Ein Anschlag?“ Die Frage klang beinahe schadenfroh. Dem reichen Krösus, der Maria die Identität rauben wollte, gönnte Sando ein solches Fiasko.
„Ja. Es gibt ein Bekennerschreiben von einer islamistischen Gruppe, die sich ,Krieger des wahren Paradieses‘ nennt.“
Sando strich etwas Butter auf eine Scheibe Toastbrot.
„Warum ausgerechnet ,Krieger des wahren Paradieses‘?“
„Tja …“ Nabil zuckte mit den Achseln und sah nicht ohne Neid zu, wie Sando in das Brot biss. „Dem Namen nach sind es Krieger, die für das wahre Paradies kämpfen. Anders ausgedrückt: Sie sind mit Katharsia nicht zufrieden. Es ist nicht das Paradies, das ihnen als Lohn für ihren gottesfürchtigen Kampf auf der Erde versprochen worden war.“
„Du meinst ein sorgenfreies Leben mit vielen schönen Jungfrauen?“
Nabil lächelte. „Du hast es erfasst. So etwa ist ihre Vorstellung vom wahren Paradies. Die Realität sieht freilich anders
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