Katharsia (German Edition)
lauerten.
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, stieß er endlich hervor. „Woher wollen Sie das wissen?“
Nabil brauchte nicht so lange wie der Professor, um zu antworten.
„Wir haben es gesehen.“
Den Professor hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er sprang auf, stakste durch den Raum.
„Tatsächlich? Nein, das ist nicht möglich … noch nicht jedenfalls, nicht wahr, Helga?“
Die Angesprochene zuckte zusammen. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen.
„Sie sagen es, Herr Professor. So weit war Strondheim noch nicht … bestimmt nicht! Ausgeschlossen!“
Sando wunderte sich, dass zwei Wissenschaftler nicht bereit waren, nackte Tatsachen anzuerkennen.
„Wir alle sind Zeugen. Aus dem Key kam Retaminnebel.“
Der Professor schüttelte energisch den Kopf.
„Nebel? Das mag schon sein … Aber echtes Retamin?“
Jetzt mischte sich Ben in die Debatte ein: „Dass ich hier leibhaftig vor Ihnen stehe, Herr Professor, verdanke ich dem Nebel aus Ihrem Key. Was sollte es also anderes gewesen sein als echtes Retamin?“
Der Professor wischte sich einen Tropfen Schweiß von der Spitze seiner Hakennase. „Na ja, das müssen wir erst untersuchen … uns selbst ein Bild machen. Wir haben nur Ihre Aussage. Als Wissenschaftler ist es meine Aufgabe, skeptisch zu sein, nicht wahr? Aber jetzt, da wir den Key haben, werden wir rasch vorankommen, so viel kann ich Ihnen versprechen.“
Frau Lindgrün öffnete die Tür des Büros zum Zeichen, dass der Empfang bei ihrem Chef vorbei war.
Im Hinausgehen sagte Nabil: „Wir wollten Sie eigentlich fragen, was die Retaminproduktion in diesem Key auslöst, Herr Professor. Aber davon haben Sie offensichtlich keine Ahnung.“
Aus den Augen des Professors schossen Tausend Nadeln. Doch schnell hatte er sich wieder in der Gewalt. „Darüber kann ich Ihnen in der Tat keine Auskunft geben, mein Herr. Wie ich schon sagte, es bleibt noch viel zu tun. Und nun entschuldigen Sie mich bitte.“
Sie traten den Rückweg an, folgten dem lindgrünen Kleid durch die Gänge des Schlosses, das Sando nun doch irgendwie verwunschen vorkam. Dennoch fühlte er sich leicht, weil er die Last der Verantwortung für den Hühnergott nun endlich losgeworden war.
DIE SENDUNG
Gemächlich glitt ihr Mobil durch das Elbtal zurück zum barocken Stadtkern von Dresden, wo auch ihr Quartier, das Haus der Medien, lag. Meyer und Grieseke im Cockpit hatten keinen Grund zur Eile. Sando und Gregor, die sich die Fensterplätze ergattert hatten, genossen die Aussicht auf die Flusslandschaft, während sich Ben und Nabil über das eben Erlebte unterhielten und offensichtlich ihren Spaß daran hatten.
„Ein nettes Paar, diese beiden.“
„Ein Vogel und ein Wurm.“
„Ein Wurm in Lindgrün!“
„Ein Lindwurm.“
Ben und Nabil lachten lauthals und Nabil resümierte: „Sie machten wahrlich nicht den Eindruck, dass sie viel von Strondheims Forschung wussten.“
„Ja, es sieht ganz so aus, als müsste Katharsia noch lange warten auf das rettende Elixier.“
Der Gleiter, der eben einen Brückenbogen durchquert hatte, stoppte plötzlich. Sando sah durch das Seitenfenster eine breite Treppe. Er wusste, dass sie zum Theaterplatz hinaufführte. Zwinger und Semperoper waren nicht weit. Am liebsten wäre er sofort ausgestiegen und durch die Stadt gestreift.
„Wir kommen hier nicht weiter“, erklärte Grieseke. „Eine Sperrung wegen des Bombenanschlags. Dort vorn das langgestreckte Gebäude ist das Kulturzentrum.“
Von der Rückbank aus war nicht viel zu erkennen. Das Gebäude war von Einsatzfahrzeugen umstellt, doch es schien unbeschädigt zu sein. Auch gab es keinen Hinweis auf einen Brand – kein loderndes Feuer, keine Rauchsäule.
„Hoffentlich ist alles glimpflich abgegangen“, sagte Gregor.
„Es sieht ganz so aus – jedenfalls aus der Ferne“, brummte Nabil beruhigend.
Der Gleiter wendete. Die Wachmänner wirkten nervös.
„Wir müssen einen kleinen Umweg zum Haus der Medien nehmen.“
Sandos Körper spannte sich. „Können wir nicht aussteigen und laufen?“
Er erntete heftigen Widerspruch aus dem Cockpit. „Keine wilden Aktionen jetzt! Wir sollen euch heil wieder zurückbringen.“ Meyer schaltete den Monitor an. „Hier, eure Gesichter sind auf allen Kanälen zu sehen. Vitelli wirbt für seine Sendung. Er bläst zum Sturm auf das KORE. Und ihr seid seine Kronzeugen.“
Grieseke ergänzte: „Der Anschlag dort draußen verschafft der Sendung Aufmerksamkeit, aber er zeigt auch, wie
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