Katharsia (German Edition)
sicher, Sie werden sich schnell an die Situation im Studio gewöhnen. Und zur Belohnung verspreche ich Ihnen eine Überraschung.“
„Was für eine Überraschung?“, fragte Sando. Wusste Vitelli etwa doch von dem Hühnergott? Die Gefährten wechselten ratlose Blicke.
„So viel kann ich schon sagen“, erklärte Vitelli geheimniskrämerisch, „es ist ein weiterer Gast. Aber wer, das verrate ich noch nicht.“
Sando atmete auf. Der Moderator wusste offenbar doch nichts.
„Kommen Sie, gleich läuft der Vorspann der Sendung! Wir müssen uns bereithalten!“
Vitelli ging voraus. Die Tür zum großen Saal war weit geöffnet. Dort stand ein Mann mit Kopfhörern und machte ihnen ein Zeichen zu warten. Sando sah durch die Tür einen der großen Monitore. Darauf lief zu dröhnender Musik eine bunte Schrift.
„Das ist das Ende der Sendung, die vor ,Punkt‘ läuft“, erklärte Vitelli. „Ich muss gleich hinein. Ihr wartet bitte, bis euch der Aufnahmeleiter losschickt.“
Daraufhin nickte ihnen der Mann mit den Kopfhörern lächelnd zu.
Die Musik im Saal wechselte. Auf den Bildschirmen drehte sich das Wort „Punkt“. Vitelli lief mit zügigen Schritten los.
„Sehen Sie, so forsch wie er gehen Sie dann bitte auch zum Podest“, sagte der Mann. Der Rest seiner Belehrung ging im aufbrandenden Beifall unter.
Der Titel „Punkt“ löste sich auf und gab Vitelli auf dem Schirm frei. Sando sah, wie er sich mit einer Geste der Bescheidenheit für den Beifall bedankte. Und als der nicht enden wollte, begann er dennoch mit der Begrüßung. „Willkommen bei ,Punkt‘!“, rief er und hob beschwichtigend die Hände. „Willkommen bei ,Punkt‘, meine Damen und Herren!“
Langsam kehrte Ruhe im Saal ein.
„Die Gäste, die ich Ihnen heute vorstellen möchte, haben alle eines gemeinsam: Sie sind verwickelt in die Battoni-Affäre. Nicht als Beschuldigte, sondern als Opfer. Sie haben sich bereit erklärt, über ihre Erfahrungen zu sprechen, Erfahrungen, die beunruhigende Fragen aufwerfen. Fragen nach dem Weg, den Katharsia künftig einschlagen sollte. Sie alle wissen, es hat einen Bombenanschlag auf dieses Gebäude gegeben. Ziel war es offensichtlich, die Sendung zu verhindern. Ist dies der Weg, mit dem wir künftig unsere Probleme lösen werden? Meine Damen und Herren, wir stehen am Scheideweg und diese Sendung soll dazu beitragen, dass wir den richtigen Weg finden. Begrüßen Sie mit mir vier mutige Menschen, deren Schicksal uns alle berührt!“
„Los jetzt – und viel Glück!“
Der Mann mit den Kopfhörern schob Sando in den Saal. Zögernd blickte sich der Junge um, ob seine Freunde ihm auch folgten.
„Zügig!“, rief der Aufnahmeleiter und wedelte mit den Armen. „Nun macht schon!“
Sando fasste sich ein Herz und stürmte los, dicht gefolgt von seinen Gefährten. Als die Scheinwerfer sie erfassten, brandete Beifall auf.
„Herzlich willkommen!“, dröhnte Vitellis Stimme durch den Saal.
Sie betraten das Podest und Vitelli stellte jeden von ihnen vor. Dann ließen sie sich auf den roten Sesseln nieder und es entstand eine gespannte Stille. Geräuschlos wie lauernde Panther glitten die Kameras um das Podest.
„Zuerst möchte ich mit dem Jüngsten in der Runde sprechen: Sando Wendelin.“
Als sein Name aus den Lautsprechern tönte, zuckte Sando zusammen.
Vitelli schaute ihn freundlich an und sagte: „Wenige Wochen erst ist er in Katharsia, ein echter Neuankömmling. Ginge es nach einigen Demonstranten draußen vor dem Studio, dürfte er gar nicht hier sein. Was er bisher erlebt hat, ist haarsträubend. Der erste Mensch, der ihm begegnete, war ein Retaminschmuggler. Aber am besten, du erzählst selbst, Sando, was am Tag deiner Ankunft in der Nähe von Makala geschah.“
Sando schluckte. Er spürte die Kameraaugen. Sie starrten ihn an, übertrugen sein Bild nicht nur auf die großen Monitore im Saal. Die ganze Welt schaute zu, wie er nun verlegen herumdruckste. „Na ja … als Erstes sah ich … eine Riesenechse … ein überdimensionales Chamäleon, das zwei Geier mit der Zunge fing wie Fliegen …“
Jemand im Publikum kicherte. Doch Vitelli hakte sofort ein.
„Ja, meine Damen und Herren, es mutet zunächst an wie eine Horrorszene aus einem Film über die Kreidezeit. Doch das Riesentier war das Wunschwesen eines Retaminschmugglers – und Sie können sich vorstellen, wie viel Retamin für so ein Ungeheuer verschwendet wurde. Was geschah, als dann der Schmuggler auftauchte?“
Vitelli sah Sando
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