Katharsia (German Edition)
überlebt haben.“
„Und Sie waren bis zu diesem Zeitpunkt als Seele dabei?“, wandte sich Vitelli an Ben.
„Ja“, sagte dieser mit einem Seitenblick auf Sando. „Mit einem Auvisor als Gefährten war Verständigung kein Problem.“ Ein beifälliges Murmeln ging durch den Saal.
„Die Bilder Ihrer Befreiung sind um die Welt gegangen“, moderierte Vitelli. „Ich behaupte, es gibt niemanden, der sie nicht kennt. Noch nie aber ist an die Öffentlichkeit gedrungen, was Ihnen in der Pariser Wohnung widerfahren ist. Sie, Herr Hakim, haben den schrecklichen Ort nicht als Seele verlassen, sondern in Gestalt des Jungen, der sie jetzt sind. Das heißt, es war Retamin im Spiel.“
„Das ist richtig, Herr Vitelli. Wir konnten uns damals nicht erklären, woher es kam. Es stand plötzlich als dichter Nebel in dem Raum, wo das Brainscreening stattfand. Ich habe die Chance genutzt.“
„Brainscreening? Was meinen Sie damit?“
„Die Battoni-Leute experimentierten mit einer neuartigen Apparatur, mit der sie Hirne ausforschen konnten. Wahrscheinlich wollten sie herausfinden, was wir gegen sie in der Hand hatten. Sie haben sich offenbar sicher gefühlt und uns ihre Technik gezeigt. Sie waren stolz darauf, dass man mit solchen Apparaturen das Bewusstsein manipulieren und Erinnerungen löschen kann. Uns war sofort klar, was für eine Macht damit verbunden war. Retamin ist knapp. Viele Seelen warten inzwischen vergeblich auf eine Zuteilung. Die Idee der dort anwesenden Wissenschaftler war offenbar, missliebige Menschen ihres Bewusstseinsinhaltes zu berauben und dafür willfährige Seelen einzupflanzen.“
Im Saal grummelte es. Sandos Blick fiel auf die rothaarige Frau in der ersten Reihe. Sie strich sich mit zitternder Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Und hat man Sie mit dieser Apparatur … behandelt?“, wollte Vitelli wissen.
„Sie hatten es vor“, antwortete Sando. „Zum Glück kam dieser Retaminnebel dazwischen. Dadurch haben die KORE-Leute die Orientierung verloren und sich in ihrer Panik gegenseitig beschossen. Das hat uns gerettet.“
„Das heißt, die KORE-Leute wurden überrascht von dem Nebel?“, fragte Vitelli verwundert. „Wo kam er denn her, wenn nicht von ihnen selbst?“
Nun war es an der Zeit, vom Hühnergott zu sprechen, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass die Forschungsergebnisse des Retamininstituts wieder aufgetaucht waren.
„Na, was ist?“, fragte Vitelli, der mit untrüglichem Gespür eine Neuigkeit witterte. „Wo kam es her, das Retamin?“
Sando räusperte sich. „Hatten Sie nicht einen Überraschungsgast versprochen, Herr Vitelli?“
„Das habe ich.“
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, beantworten wir Ihre Frage anschließend. Ich meine, wenn Sie Ihr Versprechen eingelöst haben.“
Die Gefährten grinsten zustimmend. Gelächter machte sich breit.
„Na, du bist mir ein Schlingel!“ Vitelli drohte vergnügt mit dem Zeigefinger. „Willst mit mir handeln … Aber ich fürchte, da mir das Mittel des Brainscreenings nicht zur Verfügung steht, bin ich in der schwächeren Position. Also, sei’s drum!“
Er drehte sein Gesicht zur Kamera.
„Meine Damen und Herren, nun die versprochene Überraschung! Der nächste Gast hat auch ungute Erfahrungen mit dem KORE gemacht. In unserer Sendung wird er erstmals öffentlich darüber reden. Es handelt sich um den meistgesuchten Bürger Katharsias. Mit ihm ist das Schicksal unserer Welt eng verknüpft. Begrüßen Sie mit mir den Forschungschef des Retamininstitutes Dresden – Professor Strondheim!“
Sando klappte der Unterkiefer herunter. Und nicht nur er saß mit offenem Munde da. Nur schleppend setzte Applaus ein. Die Menschen mussten diese Ankündigung erst einmal verarbeiten.
Herein kam ein mittelgroßer Mann. Forschen Schrittes lief er auf Vitelli zu und reichte ihm die Hand. Sando erkannte ihn kaum wieder. Auf den Fotos, denen man auf Schritt und Tritt begegnete, war er glattgesichtig und in Hemd und Krawatte gekleidet. Hier im Studio erschien ein bärtiger Mensch, burschikos in Pullover und Jeans.
„Schön, dass Sie gekommen sind!“, begrüßte ihn Vitelli. „Meine Damen und Herren, die Umstände, unter denen Professor Strondheim zu uns kommt, sind dramatisch. Wenn er dieses Studio verlässt, wird er sich vor den Gerichten Katharsias für seine Handlungen verantworten müssen. Immerhin hat er der Gesellschaft eigenmächtig lebenswichtige Forschungsergebnisse entzogen. Dennoch hat er sich bereit erklärt, in
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