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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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sich vor langer Zeit auf der Erde in Jerusalem ab.“
    „Auf der Erde?“, unterbrach ihn Fatima sofort. „Ich war nie auf der Erde. Ich bin Doktor Fasins Wunschwesen.“
    „Bitte, Fatima, hör doch erst einmal zu“, bat Sando.
    Fatima hob entschuldigend die Hände. „Gut, ich bin ganz Ohr. Bitte erzähl weiter, Ben.“
    Ben holte tief Luft und setzte von Neuem an: „Also, es war vor langer Zeit auf der Erde. In Jerusalem. An die Tür des ehrwürdigen und begüterten Goldschmiedes Hakim klopfte eines Tages ein Mädchen. Es trug den Namen Djamila. Es war sehr schön und gehörte zur entfernten Verwandtschaft des Goldschmiedes. Die Eltern des Mädchens hatten es in die Stadt geschickt, damit es ein Auskommen hatte, denn die Familie lebte in großer Armut auf dem Lande. Der Junge, der Djamila öffnete, war der zehnjährige Sohn des Goldschmiedes. Er hieß Ben und war dem Mädchen von Anfang an zugetan. Auf sein Flehen hin nahm der Goldschmied Djamila in seinem Hause auf. Sie diente als Magd und war so geschickt und guten Wesens, dass sie dem alten Hakim und seiner Frau bald lieb wie eine Tochter war. Auch Ben, der Junge, liebte Djamila mit kindlichem Herzen. Er lachte mit ihr, tollte mit ihr durch das Haus – fast so wild, wie er es mit seinen Freunden Gregor und Achmed zu tun pflegte. Für Ben und Djamila war es eine glückliche Zeit. Vier Jahre gingen so ins Land. Dann wendete sich das Schicksal. Man schrieb das Jahr 1099.“
    Fatima regte sich. „Das Jahr 1099? Die Geschichte ist über neunhundert Jahre alt?“
    „So ist es“, bestätigte Ben. „Willst du hören, wie die Geschichte weiterging?“
    Fatima nickte und sagte: „Ich weiß zwar nicht, was sie mit mir zu tun haben soll, aber ich mag Geschichten …“
    Ben sammelte sich einen Moment, bevor er fortfuhr: „In jenem Jahr rückte ein gewaltiges Kreuzfahrerheer gegen Jerusalem vor. Als sich die Stadt auf die Belagerung vorbereitete, sah Ben diesen Dolch zum ersten Mal. Er gehörte seinem Freund Achmed. Wie er an ihn gekommen war, ist eine eigene Geschichte, die ich hier nicht erzählen will.“
    Ben räusperte sich, nahm den Dolch vom Tisch und drehte ihn in der Hand, während er weitersprach.
    „Achmed trug das Messer während der gesamten Zeit der Belagerung. Auch an dem Tag, als er mit Ben eine schreckliche Dummheit beging. Sie verließen durch einen versteckten Gang die schützenden Mauern der Stadt. Achmed geriet in die Hände der Kreuzfahrer und Ben musste mit ansehen, wie er bestialisch ermordet wurde. Der Mörder trug auch Achmeds Dolch hinfort – ein christlicher Edelmann namens Wolfenhagen.“
    „Wolfenhagen“, wiederholte Fatima. Sie sprach das Wort aus, als zerlege sie es in seine Bestandteile. „Komisch ... der Name löst bei mir die gleiche Empfindung aus wie der Anblick des Messers …“
    „Kein Wunder“, sagte Ben, „denn auch Djamila hatte Wolfenhagen kennengelernt. Es geschah am schwärzesten Tag der Geschichte Jerusalems. Die Kreuzfahrer hatten die Mauern der Stadt überwunden und richteten ein furchtbares Gemetzel an. Blut floss durch die Straßen. Die Menschen wurden aus den Häusern geschleift und abgeschlachtet. Nur im Hause des Goldschmieds herrschte ein eigenartiger Frieden. Wolfenhagen hatte sich darin mit seinen Mannen festgesetzt und zum Festschmaus geladen. Mit Achmeds Dolch im Gürtel saß er an der reich gedeckten Tafel, neben sich die schöne Djamila, und spielte vor dem alten Hakim und seiner Frau die Rolle des ritterlichen Edelmannes, der ihnen Schutz bot inmitten des allgemeinen Schlachtens. Doch Ben hatte den Mörder Achmeds wiedererkannt und wusste, dass von ihm keine Gnade zu erwarten war.“
    Ben machte eine kurze Pause, bedrängt von der Erinnerung.
    „Ich erspare dir die Schilderung des grausamen Geschehens, das dann folgte. Nur eines noch: Wolfenhagen hat Djamila mit sich genommen. Über Jahre war sie bei ihm gewesen. Über Jahre muss sie diesen Dolch vor Augen gehabt haben.“
    Fatima fühlte sich innerlich aufgewühlt.
    „Willst du damit sagen, dass daher meine Angst vor dem Messer rührt?“
    „Und vor dem Namen ,Wolfenhagen‘“, ergänzte Ben.
    „Aber wieso habe ich dann keinerlei Erinnerung?“
    Ben legte das Messer zurück auf den Tisch und sagte: „Angst ist eine Form der Erinnerung.“
    In Fatimas Kopf arbeitete es. Den Blick unverwandt auf den Dolch gerichtet, sagte sie: „Merkwürdig ist es schon.“
    Dann sah sie Ben forschend ins Gesicht.
    „Wenn ich deine Djamila wäre, müsste

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