Katharsia (German Edition)
war. Das letzte Mal hatte er im Hades etwas gegessen.
Das enttäuschte Geheul der anderen Gefangenen im Gang ignorierend, trat der Wärter an ihr Gitter. Im Gegenlicht der Glühlampen im Gang erschien sein Gesicht schwarz.
„Na, wen haben wir denn da?“
Die Stimme kam Sando bekannt vor.
„Dass ich das noch mal erlebe: Sando Wendelin hinter Gittern! Doktor Fasin sei Dank. Es gibt noch Gerechtigkeit.“
Der Wärter öffnete die Tür und baute sich vor Sando auf.
„Hallo, Hasenscharte!“
Mike Lemming! Mit seinem Auftauchen hier hatte Sando am wenigsten gerechnet. Nach der Aktion am Schwarzen See war er spurlos verschwunden. Die Fahndung nach ihm und seiner Bande war im Sande verlaufen.
Kein Wunder , dachte Sando, wenn ihm das KORE einen solchen Unterschlupf geboten hat.
Nun standen sie sich wieder gegenüber. Und Sando kochte vor Zorn. Er ertrug Mike Lemmings Überheblichkeit nicht. Er schaute auf die Narbe, die das Gesicht seines alten Feindes seit seiner Ankunft in Katharsia verunstaltete.
„Sieh dich doch selbst an!“, versetzte er grantig.
Auf Lemmings Wange zuckte es. „Vorsicht, Kleiner! Ich kann dich auch in eine Einzelzelle stecken lassen.“
Sando nickte. „Wie es scheint, hast du deinen Traumjob gefunden.“
„Ich möchte jedenfalls nicht mit dir tauschen, Hasenscharte.“
„Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen“, versuchte Sando, sich selbst Mut zu machen, doch er erntete nur ein hämisches Grinsen.
„Ach so? Glaubst du, du kommst hier jemals wieder raus?“
„Spätestens dann, wenn Doktor Fasin scheitert.“
Lemmings Narbengesicht versteinerte.
„Für diese Bemerkung hast du die Einzelzelle verdient, Hasenscharte!“
Doch er besann sich eines anderen, setzte ein Lächeln auf, als sei er auf eine fabelhafte Idee gekommen.
„Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich verhänge Essensentzug für Sie alle!“
Er wandte sich an Sandos Gefährten und erklärte geschwollen: „Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit, meine Herrschaften, Ihrem hitzköpfigen Freund zu erklären, wer hier der Herr im Hause ist!“
Genüsslich zog er die Gittertür hinter sich zu.
„Wasser!“, stöhnte Nabil kaum hörbar, woraufhin Gregor eilig aufsprang.
„Bitte!“, rief er Lemming nach. „Lassen Sie wenigstens etwas Wasser für den verletzten Gefangenen da. Er hat Fieber und muss trinken.“
„Zu spät!“, kam es prompt zurück. „Bedanken Sie sich bei Ihrem Zellengenossen.“
Das Scheppern des Wagens hob wieder an. Die vollen Essnäpfe und die Trinkbecher verschwanden aus dem Sichtfeld der vier Gefangenen.
Die folgenden Stunden wurden zur Qual. Bens Ruf nach Wasser wiederholte sich, wurde immer drängender. Ihren eigenen Durst verleugnend, wechselten sich Sando, Gregor und Nabil darin ab, zu der nassen Wand zu laufen, das Taschentuch zu benetzen und es über Bens Mund auszudrücken. Gierig leckte der die spärlichen Tropfen von den fiebrigen Lippen. Wie lange sie dies trieben, wussten sie nicht. Hier, tief unter der Erde, gab es weder Tag noch Nacht. Das immer gleiche Dämmerlicht zermürbte jedes Gefühl für Zeit. Wenn sie überhaupt einen Rhythmus besaß, dann wurde dieser durch das stetige Jammern und Stöhnen der Gefangenen bestimmt.
Als Erster ließ sich Sando auf die Pritsche fallen. Erschöpft und mutlos.
„Wasser!“, rief Ben.
„Es ist zwecklos!“, hauchte nun auch Nabil.
Und als Gregors Händen das feuchte Taschentuch entglitt, schien Bens Schicksal besiegelt zu sein.
Sie hörten die Schritte nicht kommen – fest auftretende und trippelnde. Die Gittertür krachte auf. Mit einem Schrei des Protestes flatterte der kleine Engel herein. Hinter ihr baute sich breitbeinig Mike Lemming auf, eine Trinkflasche in der Hand.
„Was ist denn mit euch passiert?!“, kreischte Denise erschrocken angesichts der geschundenen Gestalten, die sie mit geweiteten Augen ansahen.
„Hallo, Denise …“, krächzte Sando schwach.
Er schluckte. Durst brannte in seinem trockenen Mund. Er zeigte auf Ben, der regungslos dalag.
„Lebt er noch?“
Mit einem Satz war der kleine Engel an Bens Pritsche, fühlte seinen Puls.
„Er lebt … aber … er braucht einen Arzt.“
Ben schlug die Augen auf. „Wasser …“, hauchte er.
Denise las es mehr von seinen Lippen ab, als dass sie es hörte.
„Geben Sie mir die Flasche!“, rief sie Mike Lemming zu.
Der rührte sich nicht, fragte nur: „Ist jetzt klar, wer hier der Boss ist?“
Denise sprang auf und nahm dem verdatterten
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