Katharsia (German Edition)
Gewalt ihrer Entführer zu fliehen. Nach Aussage der leicht verletzten Referentin Wanderers konnte sie sich auf dem Weg zu ihrer drohenden Exekution in letzter Minute mit dem Sprung aus einem Gleiter retten. Von den Entführern fehlt …“
„Ich habe genug gehört!“, sagte Doktor Fasin mit steinerner Miene. Es klang wie ein Befehl.
Sofort schaltete der Techniker den Bildschirm schwarz. Sando unterdrückte mit Mühe ein schadenfrohes Lächeln. So perfekt, wie der Doktor tat, schien seine Aktion nicht zu laufen. Musste ihn eine solche Schlappe kurz vor dem großen Angriff nicht ein wenig verunsichern? Sando warf ihm einen verstohlenen Blick zu.
Der Präsident in spe wirkte erstaunlich gefasst. Die Augen auf den schwarzen Hauptmonitor gerichtet, bestimmte er mit stoischer Ruhe: „Wenn die KORE-Leitung steht, beginnen wir!“
DER PUTSCH
Die Zeit bis zum Beginn des Putsches verbrachte Sando unter der Aufsicht Mike Lemmings in einem kleinen Besprechungsraum nahe der Kommandozentrale.
„Solange du dich nicht auf meine Seite geschlagen hast, bist du mein Gefangener.“ Mit diesen Worten hatte Doktor Fasin diese Maßnahme begründet. Er konnte sich nicht weiter um Sando kümmern, denn das epochemachende Ereignis erforderte seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Letzte Besprechungen waren zu führen, Befehle zu erteilen, Entscheidungen zu treffen. Alles lief über seine Person und er hatte nicht die Absicht, irgendetwas dem Zufall zu überlassen.
Sando hing missmutig in einem Sessel, knabberte Kekse aus einer halb leeren Packung, die jemand nach einer Besprechung hatte stehen lassen, und beobachtete durch die Glaswand das hektische Treiben auf dem Gang. Es machte ihn krank, angesichts der Vorbereitungen auf den großen Knall tatenlos hier herumzusitzen, ohne die kleinste Chance, Verbindung zum Präsidenten aufzunehmen, ihn zu warnen, ihm mitzuteilen, was er inzwischen herausgefunden hatte. Mike Lemming stand bewaffnet an der Tür, ein Fels, an dem sich Sando den Schädel einrennen würde beim kleinsten Versuch, diesen Raum ohne Erlaubnis zu verlassen.
„Dort kommen deine Kumpane“, sagte er nach einem kurzen Blick durch die Glaswand.
Sando sprang auf, woraufhin Lemming hämisch den Kopf schüttelte.
„Vergiss es!“
Sando wollte auffahren, seinem alten Bekannten an den Kopf werfen, dass er ihm nicht verbieten könne, seine Freunde zu begrüßen. Doch er unterließ es. Den Gefallen tat er ihm nicht, seine Macht ausspielen zu können.
„Kein Problem“, sagte Sando deshalb mit gespielter Leichtigkeit und setzte sich wieder.
Eskortiert von einigen Wachleuten schleppten sich seine Gefährten draußen vorbei, ohne ihn in seinem Glaskasten zu bemerken. Zuvorderst Denise, die, obwohl ziemlich zerzaust, noch den muntersten Eindruck machte. Es folgte Gregor, der aus tiefen Augenhöhlen starr geradeaus blickte. Nabil, der selbst Mühe hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, schob einen klapperigen Rollstuhl, in dem Ben mit eingesunkenem Kopf hing.
Wenn sie erst versorgt sind , tröstete sich Sando, wird es ihnen hoffentlich schnell besser gehen.
„Wie hast du es angestellt, Hasenscharte, dass der Doktor sie rauslässt aus der Gruft?“
Die Frage Lemmings verschaffte Sando die Gelegenheit, sich für dessen anmaßendes Gehabe zu revanchieren. Er schaute ihm geradewegs ins narbenverzerrte Gesicht und sagte freundlich: „Er hält große Stücke auf mich.“
Die Waffe in Lemmings Händen zitterte.
„Sieh mich nicht so an!“, raunzte er.
Sando griff sich seelenruhig einen Keks aus der Schachtel und biss geräuschvoll zu. Eine Zeit angespannter Stille verging, während der es in Lemmings Gesicht arbeitete. Seine Narbe schien zu glühen.
„Doktor Fasin ist ein großzügiger Mann“, stieß er unvermittelt hervor. „Auch seinen Feinden gegenüber. Ich hoffe, er bereut es nicht eines Tages.“
Die ungewohnte Ernsthaftigkeit, mit der Lemming gesprochen hatte, ließ Sando aufhorchen. „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“
Der Junge erntete einen prüfenden, fast scheuen Blick. Offenbar hatte Sando mit seiner Frage einen sensiblen Punkt in der Seele seines verhassten Gegenspielers getroffen. Er machte den Eindruck, als sei er nicht abgeneigt, über sein Innerstes zu sprechen, nur die Furcht, seine Deckung aufzugeben, sich wehrlos auszuliefern, schien ihn noch zurückzuhalten.
Geduldig wartete Sando ab, schaute auf seine Schuhspitzen, um das Narbengesicht nicht mit seinen Blicken zu verunsichern. Und endlich gewann
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