Katharsia (German Edition)
morgen zu Recht als Verräter bezeichnen. Aber das bringt mich auf eine Idee …“
Er stellte das Glöckchen wieder zurück.
„Ich lade dich und deine Gefährten ein, Zeugen zu sein!“
„Zeugen? Wobei?“
„Komm mit, Sando! Ich zeige dir etwas.“
Er eilte voraus. Sando hatte Mühe, ihm zu folgen.
Die goldbeschlagene Saaltür öffnete sich automatisch. Doktor Fasin durchquerte das Gewusel an Leuten, die es trotz hektischer Putschvorbereitungen nicht versäumten, dem künftigen Präsidenten ihre Ehrerbietung zu erweisen. Der Doktor dankte und steuerte auf eine Tür zu, die wesentlich größer war als diejenige, die zu seinem Prunksaal gehörte, aber viel nüchterner in der Gestaltung. Dahinter lag eine Art Kinosaal.
„Die Kommandozentrale“, informierte der Doktor.
Sandos Blick fiel auf einen riesigen Bildschirm, um den herum viele kleinere angeordnet waren. Einige davon waren bereits aktiv, zeigten Gebäude und Stadtansichten, die Sando unbekannt waren. Im aufsteigenden Zuschauerraum standen ein bis zwei Dutzend bequeme Sitze, lose um kleine Tischchen gruppiert, für ein ausgesuchtes Publikum. Die Mitte des Saals nahm ein Regiepult ein, an dem Männer und Frauen in KORE-Uniformen emsig hantierten. „Sie stellen die Verbindungen zu allen großen Städten her“, raunte Doktor Fasin.
Tatsächlich bemerkte Sando, dass ein Bildschirm nach dem anderen aufleuchtete. Auf einem glaubte er ein Motiv aus Rom zu erkennen, auf einem anderen deutete ein roter Doppelstockbus, der quer durch das Bild fuhr, auf London hin. Ein dritter Monitor zeigte die Kuppel einer Moschee, die Sando bekannt vorkam. Er wunderte sich darüber, weil er mit Ausnahme seiner Marokkoreise den muslimischen Raum kaum kannte. Doch dann ging ihm ein Licht auf: Diese Kuppel gehörte zu einer ehemaligen Zigarettenfabrik in seiner Heimatstadt Dresden.
„Was geschieht mit den Städten?“, fragte er beunruhigt den Doktor, der mit glänzenden Augen die Vorbereitungen verfolgte.
„Gar nichts – wenn Herr Wanderer vernünftig ist.“
Doktor Fasin erklomm die Stufen, um zu dem Regiepult zu gelangen.
Sando stieg ihm nach und fragte: „Und wenn er nicht vernünftig ist?“
Eine Stufe über Sando stehend drehte sich Doktor Fasin um und sagte von oben herab: „Nun, dann wird er verantwortlich für die Folgen sein.“
Er trat ans Pult.
„Achtung!“, rief der Ranghöchste der dort Anwesenden.
Die KORE-Leute sprangen auf und schlugen die Hacken zusammen.
„Herr Präsident …“, begann der Ranghöchste, Meldung zu machen, doch der Doktor winkte ab.
„Ich will Ihnen Sando Wendelin vorstellen.“
Neugierige Blicke trafen ihn und Doktor Fasin sagte schmunzelnd: „Ja, meine Damen und Herren, Sie vermuten richtig. Er ist der neue Auvisor. Er wird bei der Aktion an meiner Seite sein, obwohl er, ich will es Ihnen nicht verschweigen, noch nicht recht an meine Vision glaubt. Aber ich denke, Erfolg überzeugt jeden – und ich bin mir sicher, wir werden Erfolg haben.“
Auf seine knappe Anweisung hin vertieften sich die KORE-Leute wieder in ihre Arbeit und Doktor Fasin machte Sando mit einem Fingerzeig auf die Rückwand der Kommandozentrale aufmerksam. Sie bestand aus Glas. Sando glaubte, hinter der reflektierenden Fläche weitere Stuhlreihen zu erkennen.
„Hinter dem Panzerglas sitzen die Beobachter. Sie haben einen hervorragenden Überblick, können aber in das Geschehen nicht eingreifen“, erklärte der Doktor. „Ich möchte, dass deine Freunde von dort aus Zeugen meiner Machtübernahme werden.“
Eine fragwürdige Ehre , dachte Sando, doch er widersprach nicht, weil man seine Gefährten aus der Zelle holen und ihnen sicher auch frische Kleidung und Essen geben würde.
Dann hörte er, wie der Doktor einen Techniker am Pult fragte: „Hat sich New York schon gemeldet?“
„Bisher liegt nur die öffentliche Leitung an. Sehen Sie, Herr Präsident.“
Mit einem flinken Handgriff schaltete der Techniker den betreffenden Kanal auf den großen Monitor. Ein New Yorker Regionalprogramm begann eben mit einer Nachrichtensendung.
„Über die verschlüsselte KORE-Leitung empfangen wir leider noch kein Signal“, informierte der Mann am Pult beflissen. „Wir arbeiten aber …“
„Einen Moment bitte!“, unterbrach ihn Doktor Fasin.
Seine Aufmerksamkeit galt der Spitzenmeldung des New Yorker Senders.
„Heide Brandau ist frei. Wie das Büro des Präsidenten eben mitteilt, ist es Heide Brandau nach Ablauf des Ultimatums gelungen, aus der
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