Katharsia (German Edition)
lassen.
Und während sie den Grafen lauernd umkreiste, intonierte Gregor, grau im Gesicht, einen fröhlichen Tanz. Die Wachen hielten derweil den Kreis der geladenen Opfer in Schach. Ben hatte ein Messer an der Kehle, Denise einen Speer im Rücken, was den kleinen Engel ein paar Flaumfedern kostete, die hinauf in den Höllenhimmel schwebten, wo sie Lemming bei seinem nervösen Gewusel in die Quere kamen. Um Djamila, die sich vor Ekel schüttelte, kümmerte sich Pepe. Er war vom Scheiterhaufen zurückgekehrt und bedrängte sie mit seinen fettbeschmierten Pranken. Sogar dem Chefredakteur drückte ein Wachmann warnend einen Gewehrlauf in die Seite.
Sando, der sich in seiner Umklammerung nicht rühren konnte, stellte mit Schrecken fest, dass weder er noch einer seiner Gefährten würde einschreiten können, wenn der Graf seine Mordlust nun an Maria ausließ.
Der Junge fühlte sich elend. Seinetwegen hatte sie es gewagt, sich gegen den übermächtigen Kreuzfahrer aufzulehnen. Nun lief sie ins sichere Verderben. Er bäumte sich auf, doch die Zangenarme schlossen sich nur noch fester um ihn, sodass er kaum noch Luft bekam. Mit bangem Herzen beobachtete er Maria, die, geduckt wie eine Raubkatze, den Grafen umschlich, während der kampferprobte Ritter ihr kühl gegenüberstand und sie amüsiert mit seinen Blicken verfolgte.
„Es ist jammerschade, dass ich dich nun töten muss“, sagte er. „Wir beide hätten ein schönes Paar abgegeben.“
„Sei dir da nicht so sicher“, zischte ihn Maria an und es klang, als spräche sie sich selbst Mut zu.
„Schau nicht so böse, du machst mir Angst“, frotzelte daraufhin der Graf.
Sein Hohn nährte ihren Hass und Sando befiel die Furcht, Maria könnte sich zu einem unbedachten Angriff hinreißen lassen. Doch sie packte den Dolch fester und blieb auf der Hut, woraufhin Wolfenhagen mit einer Miene des Bedauerns sagte: „Ich weiß noch nicht einmal deinen Namen, schöne Frau. Verrätst du ihn mir, ehe ich dich töte?“
Die Wirkung, die diese Worte auf Maria ausübten, war überraschend. Ihr Gesicht umwölkte sich. Aus ihrem Körper wich plötzlich die Spannung. Sie ließ den Dolch sinken und schaute den Grafen ratlos an. „Was ist mit dir?“, fragte der lauernd.
Sie war so in Gedanken, dass sie nicht merkte, wie sich Wolfenhagen ihr näherte. Sando blieb das Herz stehen. Was war los mit ihr?
„Pass auf, Mar…!“ Eine Hand presste ihm den Mund zu. Maria schaute verstört in die Runde.
„Kennst du etwa deinen Namen nicht?“, fragte Wolfenhagen vorsichtig.
Mit hängenden Armen stand Maria da, eine traurige Gestalt.
„Nun?“, bohrte der Graf.
„Callista.“
Maria lauschte dem Klang dieses Namens verwundert nach.
„Die schöne Callista …“, schmeichelte der Graf, während er die Distanz zu ihr weiter verringerte. „Du scheinst dir aber nicht sehr sicher zu sein.“
„Ich weiß nicht …“, antwortete sie matt.
Das war der Moment, da der Graf zugriff. Er entriss Maria den Dolch, schlang seinen Arm um sie und setzte ihr die Klinge an den Hals. Beifall heischend sah er in die Runde. Pepe tat ihm den Gefallen, nahm seine Hände von Djamila und applaudierte demonstrativ seinem Herrn – eine kleine Nachlässigkeit, die ungeahnte Folgen haben sollte.
Djamila, den Hass eines Jahrtausends in all ihren Fasern, sprang schreiend auf und hastete auf den Grafen zu.
„Djamila, nein!“, schrie Ben, doch sein Aufseher hinderte ihn daran, einzuschreiten. Schweiß brach ihm aus allen Poren.
Wolfenhagen sah Djamila herablassend entgegen, denn sie kam mit bloßen Händen. Noch so ein wildgewordenes Weib, das seine Gefühle nicht im Griff hat , mochte er in diesem Moment denken. Und seine Überheblichkeit strahlte auch auf die Wachen aus. Sie schritten nicht ein, verfolgten gespannt das neue Schauspiel, das ihnen geboten wurde. Sie ahnten nicht, dass die Regie dieser Inszenierung nicht, wie gewohnt, in der Hand ihres Gebieters lag. Herr des Geschehens war ein Geist, unsichtbar für die Wachen: Mike Lemming! Nur Sando sah, wie er immer dichter um den Kopf des Grafen kreiselte und schließlich in ihn eindrang. Und nur er, der Auvisor, wusste, warum dessen Augen so plötzlich das Weiße zeigten, warum er schwankte, merkwürdige Laute ausstieß und schließlich den Dolch fallen ließ. Nun war es für Djamila ein Leichtes, das Drama zu beenden. Sie hob die Waffe auf und stieß die Klinge in Wolfenhagens Leib. Sie tat es stumm, ohne Regung im Gesicht, immer wieder, bis er
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