Katharsia (German Edition)
ertappt hat … Es hat sie umgehauen. Sie hat es nicht verkraftet. Das macht mir Angst, Herr Massef.“
„Beruhige dich, Sando. Es ist doch ein gutes Zeichen, dass sie dich erkannt hat.“
„ Noch hat sie mich erkannt“, sagte Sando, von einer düsteren Vorahnung ergriffen. „Vielleicht aber gelingt ihr das in Kürze nicht mehr. Irgendetwas geschieht dort mit ihr, mit ihrer Seele. Wir müssen sie dort rausholen, Herr Massef! Ich habe ihr doch versprochen, sie zu beschützen.“
„Wie stellst du dir das vor, Sando?“
„Ganz einfach: Wir erstatten Anzeige, dass sie dort gegen ihren Willen festgehalten wird.“
„Ist das so? Vielleicht findet ihr zweites Ich es ja ganz schick, auf so einem Anwesen zu leben. Und wie soll so eine Anzeige aussehen, Sando? Willst du hingehen und sagen, dass eine Frau gegen ihren Willen festgehalten wird, sie weiß nur nichts davon?“
Sando schwieg niedergeschlagen. Massef konzentrierte sich auf die Straße. Angestrengt spähte er nach vorn und suchte eine Chance, an dem Kipper vorbeizukommen. Schließlich schaltete er den Blinker ein und setzte zum Überholen an, als sich plötzlich eine schwarze Gestalt auf einem Motorrad von hinten heranschob und halsbrecherisch neben ihrem Wagen einherfuhr.
„Der ist wohl wahnsinnig geworden?!“, schimpfte Massef. „Kann der nicht abwarten, bis wir an dem Kipper vorbei sind?“
Er warf einen nervösen Blick auf das mächtige Baufahrzeug, das sie eben überholten.
Und dann ging alles sehr schnell:
Der schwarze Mann gab Gas, dass das Motorrad einen Satz nach vorn machte, drängte dann waghalsig hinüber auf ihre Fahrspur. Massef verriss vor Schreck das Steuer. Der Wagen kam ins Schleudern. Sando sah durch die Seitenscheibe eines der riesigen Kipperräder auf sich zukommen. Ein hässliches Kreischen, ein Schaben an der Karosse, knirschend brach der Seitenspiegel weg. Sando schrie entsetzt auf. Gleich würde der rotierende Koloss den Wagen ganz erfassen, ihn unter sich zermalmen wie ein lächerliches Spielzeug.
In seiner Angst warf sich Sando zur Seite, prallte gegen Massef. Dann verlor er jede Orientierung. Ungestüme Kräfte warfen ihn brüllend umher, hoben ihn an, drehten und stauchten ihn, dass ihm die Luft wegblieb – und als es endlich aufhörte, hatte er das Gefühl, mit dem Kopf nach unten zu hängen. Er hörte Stimmen, die sich näherten, spürte Hände, die ihn packten und aus der geschundenen Karosse zerrten.
„Wen haben wir denn da? Den Jungen mit der Madonna“, sagte eine freundliche Männerstimme über ihm. „Geht es dir gut?“
„Ja, alles in Ordnung“, antwortete er mechanisch.
Benommen saß er neben dem zerknautschten Wagen, der sich auf das Dach gedreht hatte, um ihn herum Leute, die sich offenbar um ihn bemühten. Unter ihnen auch Massef.
Er hat es heil überstanden , dachte Sando erleichtert.
Doch gleich darauf krampfte sich sein Magen zusammen. Er hatte die schwarze Gestalt entdeckt, die etwas abseits auf einem schwarzen Motorrad saß und seelenruhig die Szenerie beobachtete. Mike Lemming!
„Lemming …“, murmelte Sando. „Lass mich doch endlich in Ruhe!“
Obwohl er nichts vom Gesicht seines Verfolgers sah, meinte er, ein Lächeln durch den schwarzen Helm auszumachen.
„Kennst du den Mann?“, fragte die freundliche Männerstimme.
Sando fühlte sich gestört.
„Ja, er verfolgt mich“, antwortete er unwillig, ohne seinen Blick von Lemming abzuwenden.
„Warum?“
Der Mann nervte.
„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Sando ausweichend.
„Und dir ist jetzt nicht danach, sie zu erzählen, nicht wahr? Na, macht nichts. Lass dir wenigstens den kleinen Kratzer am Kopf verbinden. Bitte, Fatima, sei so gut und hole die Tasche.“
Fatima?
Jetzt war Sando hellwach. Die Männerstimme gehörte Doktor Fasin. Sein Auto, auf dessen Dach ein orangefarbenes Warnlicht kreiselte, stand in einigen Metern Entfernung.
„Hallo, Doktor Fasin“, sagte Sando. „Sie sind aber schnell gekommen.“
„Es ist nicht mein Verdienst, Sando. Es hat auch uns erwischt. Leider. Wir waren in der Gegenrichtung unterwegs zu einem Notfall.“
„Hat es Sie schlimm getroffen, Herr Doktor?“
„Nein, nur einen Reifen beim Ausweichen. Kazim wechselt gerade das Rad.“
Fatima erschien mit der Arzttasche. „Hallo, Sando“, begrüßte sie ihn mit einem berückenden Lächeln. „Wie ich sehe, bist du schon wieder auf dem Posten.“
„Guten Tag, Fatima“, erwiderte Sando, den ihre Aufmerksamkeit verlegen
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