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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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machte.
    „Na, wie ist es dir ergangen?“, erkundigte sie sich fröhlich. „Hast du dich an dein Gesicht inzwischen gewöhnt?“
    Sando brauchte ein Weilchen, bis er begriff, was sie meinte, so selbstverständlich war es ihm schon, dass er keine Narbe mehr an der Lippe hatte. „Ja, schon lange. Vielen Dank übrigens für das Kästchen mit dem Spiegel. Es hat mir sehr geholfen, mich an mein neues Aussehen zu gewöhnen.“
    Dass er das rote Spiegelkästchen gar nicht mehr besaß, weil er es bei der Flucht aus Bens Haus hatte zurücklassen müssen, verschwieg er tunlichst.
    „Ich dachte, du wärst längst in Deutschland“, sagte Fatima. Sie nahm ein Fläschchen aus der Arzttasche und öffnete es.
    Was soll ich in Deutschland , dachte Sando. Ich kann doch Maria nicht allein lassen mit ihrer kranken Seele.
    Doktor Fasin , schoss es ihm dann durch den Kopf. Ihn schickte der Himmel! Vielleicht konnte er etwas tun. Er war immerhin Seelenspezialist.
    „Herr Doktor, ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern …“, wandte er sich an den Doktor, der sich in der erzwungenen Ruhepause während des Radwechsels Sando gegenüber auf einen Stein gesetzt hatte, von wo aus er gelassen zusah, wie Fatima den Jungen verarztete. „Ich hatte Ihnen von Maria erzählt.“
    „Du meinst deine Freundin, die mit dir nach Katharsia gekommen ist? Hast du sie inzwischen gefunden?“
    Sandos Antwort ging in einem unvermittelt ausbrechenden Höllenlärm unter. Mike Lemming hatte sein Motorrad gestartet und jagte nun mit Vollgas davon. In das mit zunehmender Entfernung abschwellende Geräusch mischte sich das Heulen eines nahenden Polizeifahrzeuges.
    Lemming sucht das Weite , dachte Sando.
    Und auch Ben schienen die anrückenden Beamten nicht geheuer zu sein. Sando bemerkte, wie die Seele auf ihn zuschwebte und eilig in die Kokontasche schlüpfte, die er immer noch krampfhaft in seinen Händen hielt.
    Und wo war Massef?
    Sando hielt Ausschau und entdeckte den Reporter gestikulierend neben einem Mann in schmutziger Arbeitskleidung, offenbar der Kipperfahrer. Polizisten traten hinzu.
    Nun geht es um die Schuldfrage , dachte Sando und hoffte, dass Massef ungeschoren davonkam.
    Ein Brennen an seiner Schläfe lenkte Sandos Aufmerksamkeit wieder auf Fatima. Sie war dabei, seine Wunde zu desinfizieren.
    „Was ist mit Maria?“, fragte Doktor Fasin von seiner Position auf dem Stein her. „Ich konnte dich nicht verstehen bei dem Lärm eben.“
    „Ich habe sie gefunden … aber ihre Seele … Es ist so merkwürdig.“ Und während ihm Fatima geschickt den Verband anlegte, erzählte Sando von seinem Kummer mit Maria. Als er geendet hatte, wirkte der Doktor sehr nachdenklich.
    „Tja, aus der Ferne ist es schwer zu beurteilen“, meinte er. „Die Symptome, die du schilderst, weisen auf eine psychische Krankheit hin, die wir Fachleute dissoziative Identitätsstörung nennen.“
    „Aber sie war immer gesund“, wandte Sando ein.
    „Das will nichts besagen. Die Todeserfahrung könnte sie schwer traumatisiert haben, sodass sich ihre Seele in zwei Persönlichkeiten aufgespalten hat.“
    „Zwei Persönlichkeiten?“, fragte Sando verständnislos.
    „Nun, die eine Persönlichkeit, sie heißt in diesem Falle Maria, leidet weiter an dem Verbrechen, dem sie zum Opfer gefallen ist, die andere jedoch ist unversehrt und kann daher unbeschwert leben. Ja, Sando, mir scheint, deine Freundin hat das glücklichere Ich angenommen und will von Maria nichts mehr wissen.“
    „Die Hausangestellte wollte nicht, dass ich Maria zu ihr sage, weil sie das aufregen würde …“
    „Siehst du, Sando? Du kommst für sie aus der Welt, in der ihr Schreckliches widerfahren ist. Und genauso, wie ihr Unterbewusstsein die unglückliche Maria ausgeblendet hat, weigert es sich auch, dich zu erkennen.“
    „Aber sie hat mich erkannt!“
    „Um den Preis des Zusammenbruchs.“
    „Soll das heißen, es ist besser für sie, wenn wir uns nie wiedersehen?“
    „So hart würde ich es nicht formulieren, aber … diese Dinge brauchen Zeit.“
    „Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit, die dahinterstecken könnte?“, fragte Sando mit schwindender Hoffnung.
    „Ich wüsste nicht.“
    Doktor Fasin hob bedauernd die Schultern.
    „Aber es könnte doch sein …“, begann Sando nachdenklich und strich sich mit dem Mittelfinger der rechten Hand über die Augenbraue, wobei er die Stirn krauszog. „Es könnte doch sein, dass ihre Seele nicht gespalten ist, sondern …“
    Er stutzte. Diese

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