Katharsia (German Edition)
sein Wunsch, sie zu finden, inzwischen so mächtig geworden wäre, dass er seinen klaren Blick ein wenig trübte.
„Fatima ist eine Traumschöpfung vor Doktor Fasin. Sie kann also gar nicht Djamila sein.“
In Sandos Stimme schwang Mitgefühl, weil er glaubte, diese Information würde Bens Traumblase unweigerlich zum Platzen bringen.
Doch er täuschte sich.
„Das hat Doktor Fasin behauptet“, entgegnete Ben starrsinnig. „Ich aber habe gesehen, was ich gesehen habe.“
Sando schwieg. Hatte er nicht auch tief in seinem Inneren gewusst, dass die Frau auf dem Basar Maria war? Und hatte er nicht am Ende Recht behalten?
Massef kam auf sie zu. Er wirkte abgespannt und übellaunig. Mit beiden Armen umklammerte er eine ramponierte Einkaufstüte.
„Die habe ich noch aus dem Auto gerettet.“
Er stellte sie vor Sando ab und ließ sich müde auf dem Stein nieder, auf dem Doktor Fasin zuvor gesessen hatte. Nach einem Blick in die Tüte seufzte er und brachte ein zerbrochenes Glas zum Vorschein. Es hatte einmal Oliven enthalten.
Während er umständlich den Einkauf ausräumte und die noch brauchbaren Sachen herausfischte, fragte er Sando: „Wie hieß noch mal dein netter Freund mit dem Motorrad?“
„Mike Lemming.“
„Dann habe ich den Namen ja richtig zu Protokoll gegeben.“
Massef sagte es mit grimmiger Befriedigung und wies kopfschüttelnd auf sein Auto.
„Totalschaden! Unglaublich! Nur gut, dass uns nichts passiert ist.“
„Und wie kommen wir von hier weg?“, wollte Sando wissen.
„Taxi“, antwortete Massef maulfaul. „Es muss gleich hier sein.“
DIE ABREISE
Denise hatte in Massefs Junggesellenküche aus den geretteten Überresten des Einkaufs ein ansehnliches Mahl für alle gezaubert: eine bunte Reispfanne mit frisch geschnittenem Gemüse und Meeresfrüchten. Als die kleine Köchin die verführerisch dampfende Pfanne hereintrug, rief sie munter: „Ich bitte zu Tisch!“
Sando, der Fatimas Verband immer noch wie einen Turban trug, Gregor, Nabil und Massef setzten sich. Denise umkreiste derweil geschäftig den Tisch und tat jedem etwas auf.
„Auch wenn wir auf der Flucht sind“, sagte sie trotzig, „lassen wir uns den Spaß am Leben nicht verderben. In diesem Sinne: Guten Appetit!“
Nach diesem Spruch langten der Reporter und seine Gäste dankbar zu, denn seit dem kargen Frühstück hatten sie nichts mehr in den Magen bekommen.
Ben geisterte über dem Tisch einher und sagte neidisch: „Ich verspüre als Geist zwar keinen Hunger, aber wenn ich euch so essen sehe, plagt mich die Sehnsucht nach Fisch in Dillsoße, einem leckeren Krabbencocktail – oder besser noch: Jakobsmuscheln mit Knoblauch oder Tintenfisch mit …“
„Ben, lass es gut sein!“, unterbrach ihn Sando und auf die fragenden Blicke der anderen hin erklärte er: „Ben hat eben von seinen Lieblingsspeisen geschwärmt. Vor allem Meeresfrüchte scheinen es ihm angetan zu haben. Ich dagegen kann sie nicht ausstehen.“
Gregor sah ihn verwundert an. „Und warum isst du sie dann?“
Sando stutzte und starrte auf den Reis mit Meeresfrüchten. Langsam legte er die Gabel weg, schaute hilflos in die Runde. „Irgendwie seltsam. Ich habe nie Garnelen gegessen. Sie sind mir ein Gräuel … Die toten Augen …“ Er schob den Teller beiseite und griff sich einen Apfel von der bunten Obstschale, die auf dem Tisch stand. Äpfel hatte er immer gern gegessen. Da war er sich sicher. Er halbierte ihn und begann, die Hälften zu schälen.
Denise schüttelte missbilligend den Kopf. „Aber Sando! Die Schale ist doch das Beste vom …“ Sie unterbrach sich und blickte betreten drein. Der Junge ließ Apfel und Messer fallen und sagte matt: „Schon gut, Denise, ich habe es auch bemerkt.“
Es war Bens Tick, die Äpfel zu schälen.
„Nimm es nicht so tragisch, Sando“, meldete sich Gregor. „Was ist denn schon dabei, Meeresfrüchte zu essen oder Äpfel zu schälen?“
„Ja, aber es macht mich verrückt. Ich kenne mich selbst nicht mehr“, erwiderte Sando. „Wer weiß, was ich demnächst noch so alles anstelle, ohne es zu bemerken …“
„Wer kann schon ernsthaft behaupten, dass er sich kennt …“, bemerkte Denise weise.
Ben war die ganze Zeit unruhig durchs Zimmer gegeistert. Jetzt kam er auf Sando zu und zirpte schuldbewusst: „Oh, Sando, wenn ich könnte, würde ich es ungeschehen machen.“
„Nun bleib mal auf dem Teppich, Junge“, mischte sich Massef ein, der Bens zerknirschten Einwurf nicht hatte hören
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