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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malaxis
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erwiderte.
„Sieh her“, flüsterte er, und ich sah, wie sein Zeigefinger eine Linie am Rand meiner Handfläche nachzog. Ich senkte langsam den Kopf, denn ich wollte in diesem Moment meine Augen nicht von ihm lösen.
„Sieh her“, flüsterte er noch einmal, als ich auf mein Handgelenk starrte. Dort, wo der Puls der großen blauen Arterie klopfte, schlangen sich zwei Linien wie Schlangen umeinander und bildeten eine Acht.
„ Du bist auserwählt, das Geheimnis der Formel zu lösen“, sagte er leise, und seine Lippen bewegten sich dabei kaum.
Die Formel! Ich hielt den Atem an, wahrend er mir tief in die Augen sah. „Was für eine Formel?“ hörte ich mich flüstern.
„Die Formel der Acht...“, begann er, aber plötzlich spannte sich sein Körper, sein Gesicht erstarrte zu einer Maske, und er warf einen schnellen Blick über meine Schulter. Seine Augen richteten sich auf etwas in meinem Rücken. Er ließ mein Handgelenk los und trat zurück, als ich den Kopf drehte.
Der archaische Rhythmus der Musik dröhnte. Die Tänzer wirbelten immer temperamentvoller und leidenschaftlicher über die Bühne. Uns gegenüber auf der anderen Seite entdeckte ich im Schatten der Rampenlichter eine Gestalt. Als ein Scheinwerfer, der die Tänzer in ihren Drehungen verfolgte, diese Gestalt streifte, wußte ich, wer es war: Scharrif!
Er nickte mir höflich zu, und dann wanderte das Licht weiter. Ich drehte mich nach Solarin um. Wo er eben noch gestanden hatte, bewegte sich nur langsam ein Palmwedel.

PARIS 4. September 1792
    Kurz nach Mitternacht verließ Mireille im Schutz der Dunkelheit zu Pferd Talleyrands Haus. Auf dem Weg zum Bois de Boulogne begegneten ihr nur wenige Leute in den schmalen Seitenstraßen, die sie benutzte. Aber auch weiter draußen auf dem Land und noch weit entfernt von den Barrikaden waren die Straßen trotz Vollmond so gut wie menschenleer. Inzwischen hatten fast alle in Paris von dem Blutbad in den Gefängnissen erfahren, dessen Ende nicht abzusehen war, und blieben ängstlich in der relativen Sicherheit ihrer Häuser.
    Mireille mußte zwar nach Süden, nach Lyon, um ihr Ziel, den Hafen von Marseille, zu erreichen, aber sie ritt aus einem bestimmten Grund nach Westen in Richtung Versailles. Denn dort befand sich das Kloster von St-Cyr. Madame de Maintenon, die Mätresse von Ludwig XIV., hatte die Klosterschule im vorigen Jahrhundert zur Erziehung adliger Töchter gegründet. Die Äbtissin von Montglane hatte vor ihrer Abreise nach Rußland in St-Cyr Station gemacht.
    Vielleicht würde die Leiterin Mireille Schutz gewähren - ihr helfen, Kontakt zur Äbtissin von Montglane aufzunehmen und aus Frankreich zu fliehen. Die Autorität der Äbtissin von Montglane war Mireilles einziger Paß in die Freiheit. Sie betete, daß er ein Wunder bewirken möge.
    Die Barrikaden am Bois waren aus Steinen, Erde und zerbrochenem Mobiliar errichtet worden. Auf dem Platz davor drängten sich die Menschen mit Ochsenkarren, Kutschen und Tieren, um so schnell wie möglich zu fliehen, wenn die Tore sich öffneten. Bevor Mireille das Gewimmel erreichte, saß sie ab und hielt sich im Schutz des Pferdes. Sie hatte sich mit Hilfe alter Kleidungsstücke von Dienstboten, die Courtiade ihr gegeben hatte, als Mann verkleidet, die Haare zu einem Zopf gebunden und wie eine Männerperücke recht und schlecht gepudert. Sie wollte nicht, daß man ihre Tarnung im flackernden Licht der Fackeln sofort durchschaute.
    Mireille nahm das Pferd bei den Zügeln und mischte sich unter die Menge. Im Fackelschein sah sie, daß Soldaten die Barrikade öffneten, um jemanden hereinzulassen.
Die Menge geriet in Bewegung, denn alle wollten sehen, wer es gewagt hatte, durch die Nacht in Richtung Paris zu fahren. Es war inzwischen bekannt, daß in den Wäldern überall Patrouillen selbsternannter Kontrolleure den Reisenden auflauerten. Man nannte sie die „Nachttöpfe“, nach den seltsamen Wagen, in denen sie die Straßen abfuhren und überwachten. Sie handelten ohne amtlichen Auftrag, aber sie nahmen sich als die neuen Bürger Frankreichs sehr wichtig - sie hielten Reisende an, überfielen die Kutschen wie Heuschrecken, ließen sich Pässe und Papiere zeigen, und wenn ihr Verhör sie nicht zufriedenstellte, verhafteten sie ihre Opfer im Namen der „Bürger“ oder machten kurzen Prozeß mit ihnen und knüpften sie als Abschreckung für andere am nächsten Baum auf.
Als der Durchgang frei war, rollte eine Kolonne staubiger Kutschen und Kabrioletts hindurch. Die

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