Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
der dritten Welt. Ich glaube, Sie nehmen sich am besten dieses Buch und lesen es.“ Lisle warf ein dickes Buch auf meinen Schreibtisch und fuhr fort: „Sobald wir Ihre Visa haben, und das dürfte nicht länger als drei Monate dauern, werden Sie viel Zeit in Algier verbringen. Es ist Ihre neue Aufgabe.“
„Wie sieht diese Aufgabe aus?“ fragte ich. „Oder handelt es sich einfach um eine Art Verbannung?“
„Nein, für uns beginnt dort ein Projekt. Wir erhalten Aufträge an den exotischsten Plätzen der Welt. In diesem Fall geht es um einen Jahresvertrag mit einer eher unbedeutenden Organisation der dritten Welt. Die Mitglieder treffen sich hin und wieder, um über den Ölpreis zu reden. Sie nennen sich OTRAM oder so ähnlich. Moment mal, ich kann es Ihnen genau sagen.“ Er zog eine Broschüre aus der Brusttasche und blätterte darin. „Hier steht es: OPEC.“
„Noch nie gehört“, sagte ich. Im Dezember 1972 kannten nur wenige Menschen die Bedeutung der Abkürzung OPEC. Aber das sollte sich bald ändern.
„Ich auch nicht“, gestand Lisle. „Deshalb glauben die Partner, es sei die richtige Aufgabe für Sie. Man will Sie begraben, Velis. Ich habe es Ihnen ja prophezeit.“
„Die Geschäftsstelle in Paris hat uns vor einigen Wochen telegrafisch um einen Computerexperten in Sachen Öl, Gas und Kraftwerke gebeten. Sie nehmen jeden, den wir ihnen anbieten, und wir bekommen eine dicke Kommission. Von den Beratern aus der Chefetage will niemand gehen. Energiewirtschaft hat einfach keine Wachstumschancen. Alle sind sich einig, der Auftrag ist ein totgeborenes Kind. Man wollte schon ablehnen, als Ihr Name ins Gespräch kam.“
Man konnte mich nicht zwingen, diesen Auftrag anzunehmen. Die Sklaverei war mit dem Bürgerkrieg abgeschafft worden. Man wollte mich natürlich mit so einem „Projekt“ dazu bringen, daß ich kündigte. Aber ich würde es ihnen nicht so einfach machen.
„Was soll ich denn für diesen Dritte-Welt-Herrenclub tun?“ fragte ich scheinheilig freundlich, „Ich verstehe nichts von Öl.“
„Ich bin froh, daß Sie mich das fragen“, erwiderte Lisle und ging zur Tür. „Bis Sie das Land verlassen, hat man Sie Con Edison zugeteilt. Die verbrennen in ihrem Kraftwerk alles, was den East River herunterschwimmt. In ein paar Monaten sind Sie eine Expertin in Energieumwandlung.“
Er lachte und winkte mir beim Hinausgehen fröhlich zu. „Kopf hoch, Velis. Es hätte auch Kalkutta sein können.“
Und so saß ich spätabends hier im Pan-Am-Rechenzentrum und informierte mich über ein Land, von dem ich noch nie etwas gehört hatte und das auf einem Kontinent lag, von dem ich nichts wußte. Ich sollte Expertin auf einem Gebiet werden, für das ich mich nicht interessierte, und unter Menschen leben, die eine andere Sprache sprachen und vermutlich glaubten, Frauen gehörten in einen Harem. Nun ja, dachte ich, in beiden Punkten haben sie mit den Partnern von Fulbright Cone sehr viel gemeinsam.
Ich ließ mich nicht einschüchtern. Ich hatte in knapp drei Jahren alles gelernt, was es über Transportindustrie zu wissen gab. Es schien sehr viel einfacher, alles zu lernen, was man über Energie wissen mußte. Man bohrt ein Loch, und Öl sprudelt hervor. Was war schon dabei? Aber das Lernen würde mühsam werden, wenn alle Bücher, die ich lesen mußte, so geistreich waren, wie das vor mir auf dem Tisch:
1950 verkauft man arabisches Leichtroh für zwei Dollar pro Barrel. 1972 verkauft man es immer noch für zwei Dollar pro Barrel. Damit zählt arabisches Leichtroh zu den wenigen wichtigen Rohstoffen der Welt, die im selben Zeitraum von der inflationären Geldentwicklung unbeeinflußt blieben. Das erklärt sich dadurch, daß die Staatsmächte diesen Hauptrohstoff weltweit einer rigorosen Kontrolle unterziehen.
Faszinierend. Was mich wirklich faszinierte, wurde in dem Buch nicht erklärt. Übrigens wurde in keinem der Bücher, die ich an diesem Abend durchgeblättert hatte, darüber geschrieben. Arabisches Leichtöl war offenbar eine Art Öl - sogar das begehrteste oder am meisten geschätzte Rohöl der Welt. Daß man es seit mehr als zwanzig Jahren zum selben Preis verkaufte, lag daran, daß nicht diejenigen, die das Öl kauften, oder diejenigen, denen das Land gehörte, auf dem man es gewann, den Preis bestimmten. Den Preis setzten diejenigen fest, die das Öl vertrieben - die berüchtigten Mittelsmänner. So war es schon immer gewesen.
Es gab acht große Ölgesellschäften auf der Welt. Fünf davon waren
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