Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
ihre Macht bewahrte sie nicht vor dem Tod. Dieses Ende hatte Gott allen bestimmt - den Mächtigen und den Armen, den Heiligen und den Sündern. Te absolvo, dachte die Äbtissin, wenn dir meine Absolution etwas helfen kann. Aber bevor du gehst, mußt du noch einmal aufwachen, meine Freundin. Ich brauche deine Hilfe. Du mußt mir sagen, wo du die Schachfigur aufbewahrt hast, die ich dir gegeben habe. Sag mir: Wo ist die schwarze Dame?
Katharina kam nicht wieder zu Bewußtsein, und sie erholte sich auch nicht. Die Äbtissin saß in ihrem kalten Gemach und blickte in den leeren Kamin. Sie grübelte über ihren nächsten Schritt nach.
Der Hof trauerte hinter verschlossenen Türen, aber mehr um das eigene Schicksal als um die verstorbene Zarin. Alle zitterten vor Angst über das ihnen bevorstehende Schicksal, denn der unberechenbare Zarewitsch Paul würde zum Zar gekrönt werden.
Man sagte, nachdem Katharina den letzten Atemzug getan hatte, sei er in ihr Gemach gestürmt und habe alle Papiere in ihrem Schreibtisch ungeöffnet und ungelesen in den brennenden Kamin geworfen. Er fürchtete, sie könne letzte Anweisungen gegeben und ihn enterbt haben, wie sie immer wieder angekündigt hatte, um seinen Sohn Alexander auf den Thron zu setzen.
Der Palast glich inzwischen einer Kaserne. Die Soldaten von Pauls Leibgarde in ihren preußisch aussehenden Uniformen marschierten Tag und Nacht durch die Gänge. Befehle wurden gebrüllt, die das Getrampel der Stiefel übertönten. Freimaurer und andere Freidenker, die sich Katharina widersetzt hatten, wurden aus den Gefängnissen entlassen. Paul war entschlossen, alles zu ändern, was seine Mutter in ihrem Leben getan hatte. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich seine Aufmerksamkeit auf die richtet, die ihre Freunde gewesen waren, dachte die Äbtissin...
Sie hörte das Knarren der Tür, hob den Kopf und sah Paul, der sie mit seinen hervorquellenden Augen anstarrte. Er kicherte wie ein Schwachsinniger und rieb sich die Hände - sei es aus Zufriedenheit oder wegen der eisigen Kälte im Raum.
„Pawel Petrowitsch, ich habe Sie erwartet“, sagte die Äbtissin und lächelte. „Sie werden mich mit ‘Majestät’ anreden, und Sie werden sich erheben, wenn ich Ihr Gemach betrete!“ schrie er. Als die Äbtissin langsam aufstand, beruhigte er sich etwas, kam durch den Salon auf sie zu und blickte sie haßerfüllt an. „Es hat sich einiges geändert, seit ich das letzte Mal diesen Raum betreten habe. Finden Sie nicht auch, Madame de Roque?“ fragte er herausfordernd.
„O ja“, erwiderte die Äbtissin ruhig, „wenn mein Gedächtnis nicht trügt, hat Ihre Mutter mir damals erklärt, aus welchen Gründen Sie ihren Thron nicht erben würden - und doch scheinen sich die Dinge nun anders entwickelt zu haben.“
„Ihren Thron?“ schrie Paul und ballte wutentbrannt die Fäuste. „Es war mein Thron, den sie mir gestohlen hat, als ich acht war. Sie war eine Tyrannin!“ schrie er mit rotem Gesicht. „Ich weiß, was Sie beide damals ausgeheckt haben! Ich weiß, was Sie besitzen! Ich verlange, daß Sie mir sagen, wo die anderen versteckt sind!“ Er griff in die Tasche seines Waffenrocks und holte die schwarze Dame heraus. Die Äbtissin wich ängstlich zurück, gewann aber die Fassung sofort wieder.
„Sie gehört mir“, sagte sie ruhig und streckte die Hand aus. „Nein! Nein!“ riet Paul höhnisch. „Ich will sie alle haben, denn ich weiß Bescheid. Sie werden mir alle gehören! Nur mir!“
„Ich fürchte nein“, sagte die Äbtissin noch immer mit ausgestreckter Hand. „Vielleicht wird eine Zelle im Gefängnis Sie zur Vernunft bringen“, erwiderte Paul und drehte ihr den Rücken zu, als er die Figur wieder in die Tasche steckte. „Bestimmt meinen Sie nicht, was Sie sagen“, erwiderte die Äbtissin. „Nicht vor dem Begräbnis...“ Paul lachte leise und blieb an der Tür stehen. „Ich möchte doch, daß Ihnen das Schauspiel nicht entgeht. Ich habe angeordnet, daß die Gebeine meines ermordeten Vaters, Peters des Dritten, die im Kloster von Alexander Nemski ruhen, ausgegraben und zum Winterpalast gebracht werden. Sie sollen zusammen mit der Leiche der Frau, die seinen Tod angeordnet hat, zur Schau gestellt werden. Über meinen aufgebahrten
Eltern wird ein Band hängen mit der Aufschrift: „Im Leben getrennt, im Tod vereint.. Man wird die Särge durch die verschneiten Straßen der Stadt tragen. Die Sargträger werden die ehemaligen Liebhaber meiner Mutter
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