Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Spannung zu stehen. Ein Auge zuckte leicht, und er strich sich immer wieder über den grauen Schnurrbart, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Er hatte seine dünnen, leicht fettigen Haare zurückgekämmt, aber die Strähnen fielen ihm ständig über die Stirn ins Gesicht. Er trug eine dunkelbraune Samtjacke, die einmal bessere Tage gesehen haute. Die weite Hose war zerknittert. Er tat mir leid. Er schien völlig fehl am Platz und mutlos zu sein.
Neben ihm wirkte Solarin wie die Statue eines Diskuswerfers. Er überragte Fiske mindestens um einen Kopf, trat höflich beiseite, zog einen Stuhl für Fiske zurück und half ihm Platz zu nehmen.
„Raffiniert“, zischte Lily, „er versucht, Fiskes Vertrauen zu gewinnen. Er will Oberwasser haben, noch ehe das Spiel beginnt.“
„Findest du nicht, daß du etwas zu streng mit ihm bist?“ fragte ich laut, aber mehrere Leute in der Reihe hinter uns bedeuteten mir zu schweigen.
Ein Junge brachte die Schachfiguren herein und stellte sie auf - die weißen vor Solarin. Lily erklärte, die Auslosung der Farben habe bereits am Tag zuvor stattgefunden. Wieder ermahnte uns ärgerliches Zischen zu schweigen.
Während einer der Schiedsrichter die Regeln vorlas, schweifte Solarins Blick über die Zuschauer. Er wandte mir das Profil zu, und ich hatte Gelegenheit, ihn genau zu betrachten. Er wirkte offener und entspannter als zuvor. Man spürte deutlich, er war jetzt in seinem Element, und er sah jung und konzentriert aus, wie ein Sportler vor dem Wettkampf. Aber dann fiel sein Blick auf Lily und mich. Sein Gesicht wurde starr, und seine Augen durchbohrten mich.
„Oh“, flüsterte Lily, „jetzt verstehe ich, was du mit eiskalt meinst. Ich bin froh, diesen Blick gesehen zu haben, ehe ich gegen ihn antrete.“
Solarin sah mich an, als könne er nicht glauben, daß ich noch immer anwesend sei. Er schien aufstehen und mich aus dem Raum zerren zu wollen. Ich hatte plötzlich das bedrückende Gefühl, mit meinem Bleiben einen großen Fehler begangen zu haben. Die Figuren standen auf dem Schachbrett, und seine Uhr fing an zu ticken, so daß er schließlich die Augen auf das Schachbrett richtete. Er rückte mit dem Bauern des Königs vor. Ich bemerkte, daß Lily auf ihrem kleinen Schachbrett denselben Zug machte. Ein Junge stand neben der Tafel und notierte mit Kreide den Zug.
Das Spiel verlief eine Weile ereignislos. Solarin und Fiske schlugen je einen Bauern und einen Springer. Solarin rückte mit dem Läufer des Königs vor. Ein paar Zuschauer tuschelten miteinander, einige standen auf, um draußen eine Tasse Kaffee zu trinken.
„Das sieht nach Giuaco Piano aus“, murmelte Lily und seufzte, „das kann ein sehr langes Spiel werden. Bei Turnieren wird diese Art Verteidigung nie gespielt. Das ist ein alter Zopf. Mein Gott, das steht sogar in der Göttinger Handschrift.“ Für jemanden, der nie ein Wort über Schach las, war Lily eine wahre Quelle der Schachtheorie.
„Auf diese Weise kann Schwarz seine Figuren entwickeln, aber es geht langsam, so langsam. Solarin macht es Fiske leicht. Er läßt ihm ein paar Züge, ehe er ihn wegwischt. Du kannst mich rufen, wenn in der nächsten Stunde etwas geschieht..!“
„Woher soll ich wissen, ob etwas geschieht?“ wisperte ich.
In diesem Augenblick machte Fiske einen Zug und stoppte seine Uhr. Die Menge murmelte, und ein paar Leute, die schon im Begriff waren zu gehen, blieben stehen und blickten auf die Tafel. Ich hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um Solarins Lächeln zu sehen. Es war ein seltsames Lächeln.
„Was ist geschehen?“ fragte ich Lily.
„Fiske ist unternehmungslustiger, als ich dachte. Anstatt den Läufer zu ziehen, hat er sich für die ‚doppelte Springerverteidigung' entschlossen. Die Russen lieben das. Es ist sehr viel gefährlicher. Mich überrascht das. Er wählt diese Strategie bei einem Gegner wie Solarin, der dafür bekannt ist...“ Sie biß sich auf die Lippen. Schließlich befaßte sich Lily nie mit der Spieltechnik anderer Spieler. O nein!
Solarin zog nun seinen Springer und Fiske den Bauern seiner Königin. Solarin schlug den Bauern. Fiske schlug Solarins Bauer mit seinem Springer, damit war das Spiel wieder ausgeglichen - das dachte ich. Mir schien, Fiske war im Vorteil. Seine Figuren standen in der Brettmitte und Solarins alle am Rand. Aber Solarin nahm sich jetzt Fiskes Läufer mit seinem Springer. Eine Welle der Erregung brandete durch den Raum. Die Leute, die hinausgegangen waren, kamen eilig mit den
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