Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
erklärte man mir, Harry sei nach Buffalo gefahren, um eine Lieferung beschädigter Pelze in Augenschein zu nehmen. Er würde erst spätabends zurückkommen. Ich dachte daran, mit einem anonymen Anruf die Polizei auf Sauls Leiche aufmerksam zu machen. Aber sie würden den armen Saul schnell genug finden. Seine Leiche konnte nicht lange in der UNO liegen, ohne daß es jemandem auffiel.
Kurz nach zwölf ließ ich mir von meiner Sekretärin Sandwiches holen. Das Telefon klingelte. Es war mein Chef Lisle. Er klang unangenehm fröhlich.
„Wir haben Ihre Tickets und alle Reiseunterlagen, Velis“, sagte er. „Unser Büro in Paris erwartet Sie am kommenden Montag. Sie übernachten dort und fliegen, am nächsten Morgen nach Algier weiter. Ich lasse die Tickets und die Unterlagen heute nachmittag durch einen Boten in Ihr Apartment bringen. Ist Ihnen das recht?“ Ich murmelte, es sei mir recht.
„Sie scheinen sich nicht zu freuen, Velis. Sind Ihnen inzwischen Bedenken gekommen hinsichtlich Ihrer Reise in den Schwarzen Kontinent?“
„Keineswegs“, erwiderte ich so überzeugend wie möglich. „Ich kann eine Abwechslung gebrauchen. New York geht mir allmählich auf die Nerven.“
„Dann ist ja alles bestens. Bon voyage, Velis. Vergessen Sie nicht, ich hatte Sie gewarnt.“
Er legte auf. Kurz darauf erschien meine Sekretärin mit den Sandwiches und einem Glas Milch. Ich schloß die Tür und versuchte zu essen, aber ich brachte nur ein paar Bissen herunter. Ich konnte mich auch nicht auf meine Bücher über Rohöl konzentrieren. Ich saß einfach da und starrte auf meinen Schreibtisch.
Gegen drei Uhr klopfte die Sekretärin an die Tür und kam mit meiner Aktenmappe herein.
„Ein Mann hat sie unten beim Empfang abgegeben“, sagte sie. „Zusammen mit einem Brief.“ Mit zitternden Händen nahm ich den Brief und wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ich suchte nach einem Brieföffner, schlitzte den Umschlag auf und zerrte das darin liegende Blatt Papier heraus.
„Ich habe einige Ihrer Notizen an mich genommen“, stand darauf. „Bitte gehen Sie nicht allein in Ihr Apartment.“ Keine Unterschrift, aber den Ton kannte ich. Ich schob das Papier in die Jackentasche und öffnete die Aktenmappe. Es fehlte nichts, abgesehen von meinen Notizen über Solarin - natürlich!
Um halb sieben war ich immer noch im Büro, obwohl das Haus beinahe menschenleer war. Meine Sekretärin saß im Vorzimmer und tippte. Damit ich nicht allein war, hatte ich ihr so viel Arbeit gegeben, daß sie Überstunden machen mußte. Aber ich wußte immer noch nicht, wie ich in mein Apartment kommen sollte. Es lag so nahe, daß es unsinnig gewesen wäre, ein Taxi zu rufen.
Draußen im Gang hörte ich die Putzkolonne. Ich leerte gerade den Aschenbecher in den Papierkorb, als das Telefon klingelte. Vor Aufregung hätte ich den Apparat beinahe fallen lassen.
„Du arbeitest wirklich sehr lang ...“ hörte ich eine vertraute Stimme. Ich wäre vor Erleichterung beinahe in Tränen ausgebrochen. „Schwester Nim“, sagte ich und versuchte, meine Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Ich fürchte, Sie rufen zu spät an. Ich habe gerade meine Sachen gepackt, um der Welt adieu zu sagen. Ich gehöre ab heute zu den Bräuten Christi.“
„Mein Gott, das wäre sehr bedauerlich und reine Verschwendung“, flötete Nim ungerührt. „Woher weißt du, daß ich zu dieser Stunde noch hier bin?“ fragte ich.
„Wo sonst konnte jemand, der wie du von blinder Arbeitswut besessen ist, an einem kalten Winterabend sein?“ erwiderte er. „Du mußt inzwischen die Notration der Welt an Rohöl verbrannt haben... Wie geht es dir, Kleines? Ich habe gehört, du hast versucht, mich zu erreichen.“
„Ich habe leider große Probleme“, gestand ich. „Natürlich. Du hast immer Probleme“, erklärte Nim ungerührt. „Das ist eine deiner charmanten Seiten. Jemand wie ich findet das Leben langweilig, weil mir immer nur
Berechenbares widerfährt.“
Ich dachte an die Sekretärin im Vorzimmer und flüsterte: „Das Wasser steht mir bis zum Hals. In den letzten beiden Tagen sind praktisch vor meinen Augen zwei Menschen ermordet worden! Man hat mich gewarnt und mir gesagt, es hat alles etwas mit meiner Anwesenheit bei Schachspielen zu tun -“
„Was?“ rief Nim. „Was machst du denn? Hältst du ein Handtuch über den Hörer? Ich kann kaum etwas verstehen. Man hat dich gewarnt? Sprich lauter.“
„Eine Wahrsagerin hat mir prophezeit, ich würde in
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