Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
und Erinnerungsstücke aufbewahrst.“ Er blies eine dicke Staubschicht von einem Bücherstapel, nahm ein Buch in die Hand und blätterte darin.
Ich suchte währenddessen in meinem Schrank nach etwas Geeignetem und entschied mich schließlich für eine dicke khakifarbene Cordhose und einen naturfarbenen irischen Wollpullover. Als ich zum Umziehen in Richtung Bad verschwand, saß Nim bereits am Flügel und klimperte auf den Tasten herum.
„Spielst du auf dem Ding?“ rief er mir nach. „Mir fällt auf, daß die Tasten sauber sind.“
„Ich habe als Hauptfach Musik studiert“, rief ich aus dem Bad. „Musiker sind die besten Computerexperten. Sie sind noch besser als Ingenieure und Physiker.“ Ich wußte, Nim hatte sein Examen in Physik und Maschinenbau gemacht. Ich hörte nichts mehr von ihm. Als ich in Strümpfen zurückkam, stand er mitten im Zimmer und betrachtete mein Ölbild mit dem Mann auf dem Fahrrad, das ich umgedreht an die Wand gestellt hatte.
„Vorsicht“, sagte ich, „die Farben sind noch nicht richtig trocken.“
„Ist das von dir?“ fragte er, ohne den Blick von dem Bild zu wenden.
„Das hat alle Probleme ausgelöst“, erklärte ich. „Ich habe es gemalt, dann habe ich den Mann gesehen, der haargenau wie der Mann auf dem Bild aussieht. Deshalb bin ich ihm gefolgt.. .“
„Was hast du gemacht?“ Nim sah mich mit großen Augen an.
Ich setzte mich auf den Klavierstuhl und begann, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen bei Lilys Besuch mit Carioca. War es wirklich erst gestern gewesen? Diesmal unterbrach mich Nim nicht. Während ich sprach, warf er von Zeit zu Zeit einen Blick auf das Bild. Dann sah er mich wieder an. Ich schloß, indem ich ihm von der Wahrsagerin erzählte und meiner Fahrt zum Fifth Avenue Hotel, wo ich herausgefunden hatte, daß es diese Frau überhaupt nicht gab. Als ich schwieg, war Nim in Gedanken versunken. Ich ging zu dem eingebauten Schrank, nahm ein Paar alte Reitstiefel heraus und eine Matrosenjacke. Dann zog ich die Stiefel an.
„Wenn du nichts dagegen hast“, sagte Nun, „möchte ich mir das Bild ein paar Tage ausleihen.“ Er hob es hoch und hielt es vorsichtig am Keilrahmen fest. „Ach, und hast du das Gedicht der Wahrsagerin noch ?“
„Es muß hier irgendwo liegen“, erwiderte ich mit einer Geste auf das allgemeine Chaos.
„Laß es uns suchen“, meinte er freundlich.
Ich seufzte und begann erst einmal, in den Taschen meiner Mäntel zu wühlen. Es dauerte etwa zehn Minuten, aber schließlich fand ich die Papierserviette, auf die Llewellyn in Großbuchstaben die Prophezeiung der Wahrsagerin geschrieben hatte.
Nim steckte die Serviette in seine Jackentasche. Er nahm das Ölbild und legte mir den Arm um die Schulter. Dann gingen wir zur Tür.
„Mach dir keine Sorgen um das Bild“, sagte er im Flur. „Ich bringe es nächste Woche zurück.“
„Du kannst es meinetwegen auch behalten", erwiderte ich. „Am Freitag bin ich vorläufig zum letzten Mal hier. Deshalb wollte ich dich eigentlich erreichen. Ich verlasse am Wochenende das Land - für ein Jahr. Ein Auftrag meiner Firma...“
„Sind das diese Korinthenkacker?“ fragte Nim. „Wohin schicken sie dich?“
„Nach Algerien“, sagte ich und wollte die Wohnungstür öffnen.
Nim blieb wie angewurzelt stehen und sah mich an. Dann begann er zu lachen. „Liebe junge Frau“, sagte er schließlich, „es gelingt Ihnen immer wieder, mich in Erstaunen zu versetzen. Du überschüttest mich beinahe eine Stunde lang mit Geschichten von Morden, Geheimnissen und Drohungen, aber es gelingt dir, mir das Wichtigste zu verschweigen.“
Ich war völlig verwirrt. „Algerien?“ wiederholte ich. „Was hat das alles mit Algerien zu tun?“
„Sag mal“, fragte Nim, legte mir die Hand unter das Kinn und hob meinen Kopf. „Hast du schon einmal etwas vom Montglane-Schachspiel gehört?“
Mir stockte der Atem, und ich schüttelte stumm den Kopf.
Er lachte. „Gut, dann fangen wir damit an, ich werde es dir erzählen. Es ist eine lange Geschichte...“
Im Stadttunnel herrschte so gut wie kein Verkehr. Es ging bereits auf acht Uhr zu. Das ohrenbetäubende Heulen von Nims Wagen wurde von den Tunnelwänden zurückgeworfen.
„Ich dachte, wir gehen essen?“ schrie ich über den Lärm hinweg.
„Das tun wir auch“, erwiderte Nim geheimnisvoll. „Wir fahren zu mir nach Long Island. Ich versuche mich als Bauer. Aber jetzt im Winter gibt es nichts zu tun.“
„Du hast eine Farm auf Long Island?“ fragte ich.
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