Katie außer Rand und Band - wie eine Hundedame unser Herz eroberte
ihr rasch vergeben, und Pearl umarmte ihr Mädchen fest.
»Kleine«, fragte Pearl, »willst du einen Apfel?«
Katie kannte das Wort genauso gut wie ihren Namen, sofort sprang sie auf einen Stuhl am Esstisch und wartete, dass Pearl ihr ein Stückchen des roten Leckerbissens nach dem anderen zuwarf.
»Und wie wär’s jetzt mit einem Hundekuchen?« Katie trottete zur Dose und stupste sie mit der Pfote an.
»Möchte mein Mädchen tanzen?« Katie stellte sich auf die Hinterpfoten und winkte Pearl mit den Vorderpfoten zu, während diese sang: » I wanna be in pictures ... I wanna be a star .«
Rasch fand ich heraus, dass unsere Pearl sehr viele Facetten hatte.
Manchmal war sie sehr mädchenhaft, manchmal sehr temperamentvoll.
»Sie war eine ernste, einfache Frau, sie spielte einem nichts vor«, bemerkte meine Mutter einmal. »Manchmal wirkte sie auch sehr grimmig. Man musste sie erst kennenlernen. Sie war, was sie war, daraus machte sie kein Hehl.«
Aber hinter der Sachlichkeit, die sie nach außen hin zeigte, verbargen sich Güte und Menschlichkeit, die sich in ihrem starken Interesse an ihren Mitmenschen ausdrückte. Allerdings zeigte sie nicht gern, was in ihr vorging, sie konzentrierte sich lieber auf ihre Gäste.
»Sie konnte ausgezeichnet zuhören«, stellte meine Mutter fest. »Aber wenn sie wollte, dass man ging, ließ sie einen das auch spüren.«
Für die meisten Leute traf das bestimmt zu, doch die Beziehung, die sich zwischen uns entwickelt hatte, war so angenehm, dass ich nie das Gefühl hatte, ihre Zeit über Gebühr zu beanspruchen, und umgekehrt war es genauso.
Einmal kamen Pearl und Arthur zu mir, um mir ihre Kleider zu zeigen und ein paar Fotos machen zu lassen, bevor sie zu einer Hochzeit aufbrachen. Pearl war höchst vergnügt. »Ich habe mich mit einem gut aussehenden Mann verabredet, stimmt’s? Und auch ich kann mich sehen lassen«, meinte sie augenzwinkernd. An diesem Nachmittag trug sie ein blassgrünes Seidenkostüm, schlichten Goldschmuck und Lackschuhe mit einer Schleife.
Aber wenn ich Pearl einen etwas zu direkten Rat gab, etwa, dass sie ihre Fenster von einem Profi putzen lassen sollte – was sie dringend nötig gehabt hätten –, fauchte sie: »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten. Mir gefallen die Flecken.« Damit war der Fall erledigt. Für einen solchen Luxus hatte sie kein Geld.
Ich wusste, dass bei Pearl der Geldbeutel nicht locker saß und sie oft mit Gutscheinen einkaufte. Doch sie konnte auch sehr großzügig sein: Sie brachte Obdachlosen Kleider und kochte für Freunde in Not ein üppiges Abendessen. Hinter ihrer manchmal recht kratzbürstigen Art und ihrem sarkastischen Humor steckte ein tiefes Mitgefühl für die Schwächen der Menschen und ein vorsichtiger Realismus, den sie während der großen Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre erworben hatte.
»Du wirfst das Geld zum Fenster raus!«, hielt sie mir immer wieder vor. »Katie braucht keine fünf Wintermäntel. Bring den da zurück.«
Jawohl, Ma’am.
Bald wurden unsere langen Plaudereien am Esstisch zur Gewohnheit und oft von einer leckeren Mahlzeit gekrönt. Auf dem Heimweg von der Arbeit machte ich einen Abstecher nach Greenwich Village und besorgte Pearls und Arthurs Lieblingsnudeln bei Veniero’s oder bei Rocco’s . Manchmal holte ich auch glasierte Kekse bei Jon Vie oder ein knuspriges Ciabatta bei Zito’s . Solche Delikatessen boten immer Anlass zum Feiern.
Damals kam ich auch auf den Spitznamen »Pa-Re-El«. Ich sprach Pearls Namen liebevoll ganz gedehnt aus, fing tief an, hob die Stimme bei »Re« und endete wieder tiefer bei »El«. Wenn ich mit den Leckereien heimkam, klopfte ich an ihre Tür und rief »Pa-Re-El«.
Sie lachte gutmütig und winkte mich zum Esstisch, die geheimnisvolle weiße Bäckerschachtel in meiner Hand nicht aus den Augen lassend.
Arthur kam eilig aus dem Schlafzimmer und klatschte in die Hände, und auch Katie schoss blitzschnell unter dem Bett hervor. Sie sprang mit einem Satz auf den Stuhl am Esstisch und freute sich auf ein Cannoli oder ein Scheibchen Ricotta-Kuchen.
Bei den zahlreichen Besuchen und italienischen Köstlichkeiten erfuhr ich mehr und mehr über Pearls und Arthurs Leben. Fasziniert fügte ich die Bruchstücke zu einer Geschichte zusammen.
Pearl kam 1912 in New York zur Welt und wuchs zusammen mit ihrer älteren Schwester Stella – »der Hübschen«, meinte sie lachend – in einer jüdischen Familie in Kingsbridge auf. Die junge Pearl hatte
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