Katie Chandler 01 - Hex and the City-ok-neu
Bürotür geschlossen war. Mit ein bisschen Glück telefonierte sie die nächste halbe Stunde mit Werner und heulte ihm vor, wie schrecklich ihr Tag bislang gelaufen war und wie fies und gemein ihre fürchterlichen Mitarbeiter alle zu ihr waren.
Ich legte meinen Notizblock neben den Computer, sank auf meinen Schreibtischstuhl und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, warum ich mich eigentlich mit diesem Job abgab. Zuerst hatte er gar nicht so übel gewirkt. Mimi hatte mich wie eine lange verloren geglaubte Schwester empfangen und mir auf jede erdenkliche Weise zu verstehen gegeben, sie wolle mir eine Mentorin sein, die mir den Weg in die Geschäftswelt ebnet. Sowohl beste Freundin als auch Seelenverwandte. Dann beging ich den Fehler, die verheerenden Rechtschreib- und Grammatikfehler in einem ihrer Memos zu korrigieren und es ihr anschließend noch einmal vorzulegen, um mir die Änderungen absegnen zu lassen. Das war der Moment, in dem ich Bekanntschaft mit Monstermimi schloss. Seither hatte ich gelernt, dass sie an guten Tagen so freundlich war, dass ich Hoffnung schöpfen konnte. Aber sobald jemand ihre Perfektion in Zweifel zog, drehte sie durch. Außerdem hatte ich ebenfalls begriffen, dass ich ihre Memos vor dem Rausschicken besser einfach stillschweigend korrigierte und Mimi erst gar nicht wissen ließ, dass ich ihr Chaos beseitigte.
Warum wollte ich diesen Job nochmal? Ach ja, wegen der sechshundert Mäuse, mit denen ich meinen Anteil an der Miete für das Zweizimmerapartment bestritt, das wir uns zu dritt teilten. Ganz zu schweigen von meinem Anteil an den Nebenkosten, dem Essen, dem Geld für die öffentlichen Verkehrsmittel und allen übrigen kleinen Ausgaben, die zusammen genommen meinen mageren Gehaltsscheck aufzehrten. Ich kam knapp aus mit meinem Geld. Und ohne ein Gehalt würden meine Mitbewohnerinnen mich mit Sicherheit vor die Tür setzen, auch wenn wir schon seit dem College befreundet waren. Dann würde ich nach Texas zurückfahren müssen und meinen Eltern den Beweis dafür liefern, dass in der großen Stadt also doch nichts aus mir geworden war.
Es gab sogar Tage – wie diesen heute –, an denen ich mich ausdrücklich daran erinnern musste, warum das denn so schlimm wäre. Es war ja nicht so, als wäre ich zu Hause unglücklich gewesen. Ich hatte einfach nur das Gefühl gehabt, mehr zu wollen. Was genau, wusste ich nicht, noch nicht. Ich hoffte, irgendwo da draußen wartete irgendetwas auf mich, wo mein Name draufstand und das mich nie hätte finden können, wenn ich in dieser Kleinstadt geblieben wäre. Wenn ich nicht aus freien Stücken und mit irgendeinem geschäftlichen oder persönlichen Erfolg unter dem Arm nach Texas zurückkehrte, würde ich als Versagerin dastehen. Schlimmer noch, dann würde ich mich wie eine Versagerin fühlen.
Um das abzuwenden, war Mimi auszuhalten sogar noch ein geringer Preis. Andererseits schadete es auch nicht, wenn ich mich jetzt, wo ich über den Agrarbedarfshandel hinausgehende Erfahrungen vorweisen konnte, nach einem anderen Job umsah. Bei meinem nächsten Job würde es einfacher sein, meine Wurzeln zu verbergen, denn dort würden sie nicht mehr die frisch aus Texas eingetroffene Katie kennen lernen. Was doch sicher einiges erleichterte.
Mein Computer zeigte an, dass eine neue E-Mail für mich eingetroffen war. Ich klickte mein Mail-Programm an und sah eine Nachricht mit dem Betreff »Jobangebot«. Ich wusste, dass es sich dabei wahrscheinlich um Spam handelte und mir jemand die Chance eröffnete, zu Hause zu arbeiten und dort Briefe einzutüten oder dergleichen Langweiliges mehr. Doch angesichts dessen, was ich heute schon alles erlebt hatte, öffnete ich die Mail.
»Liebe Kathleen Chandler«, stand da. »Wir sind auf Ihre Erfahrung und Ihre Arbeitseinstellung aufmerksam geworden und glauben, dass Sie perfekt in unser Unternehmen passen würden. Dies ist eine einmalige Chance, die Sie sich keinesfalls entgehen lassen dürfen. Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie niemals wieder ein vergleichbares Angebot erhalten werden, weder in New York noch anderswo. Bitte antworten Sie per E-Mail oder rufen Sie uns sobald wie möglich an, um einen Termin für ein Vorstellungsgespräch zu vereinbaren.«
Unterschrieben hatte ein »Rodney A. Gwaltney, Personalchef, MMI Inc.« Eine Telefonnummer aus Manhattan stand unter seinem Namen.
Ich starrte sehr lange auf diese E-Mail. Das klang sehr, sehr verlockend, und vielleicht schadete es ja auch nicht, mehr darüber
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