Katie Chandler 02 - Alles ausser Hex-ok-neu
sollte. Jetzt, wo sie sie in der Hand hielt, konnte auch ich daran nichts Ungewöhnliches mehr feststellen.
Aber nach dem ungesunden Grünton, den Moms Gesicht angenommen hatte, ging ich davon aus, dass ihr der Appetit auf Matzenbrot-Bällchen vergangen war.
Idris kicherte noch immer. Ich hätte ihm zu gern die Leviten gelesen, weil er magische Tricks anwendete, aber das konnte ich nicht tun, ohne Mom die Wahrheit aufzutischen. Leider konnte Mom prima für sich selbst sorgen. »Junger Mann, es ist unhöflich zu lachen, wenn andere sich unbehaglich fühlen«, schimpfte sie. »Bekommt man hier denn keine Manieren beigebracht? Also wirklich, Katie, ich weiß ja nicht, was du dir für Freunde suchst.«
»Ich hab nie behauptet, er wäre mein Freund«, murmelte ich, während ich versuchte, mein Bein so zu positionieren, dass ich ihm unter dem Tisch gegen den Knöchel treten konnte, ohne mich an dem Metallpfosten, der die Tischplatte trug, zu stoßen. Dann schob ich Mom mein Sandwich hin. »Hier, warum isst du nicht das? Ich schätze, die Suppe war einfach ein wenig zu exotisch für dich.«
Mom fing nicht mal an zu debattieren, was mir zeigte, wie schockiert sie tatsächlich war. Normalerweise hätte sie ausgiebig die Märtyrerin gespielt und wäre freudig – und geräuschvoll – vor meinen Augen verhungert. Zweifellos glaubte sie jetzt, Matzenbrot-Bällchen wären tatsächlich Augäpfel, und würde es nach ihrer Rückkehr jedem erzählen.
Sie biss vorsichtig in das Corned-Beef-Sandwich – als erwartete sie, dass es sie im nächsten Moment anmuhen würde. Ich hielt den Atem an, da ich nicht sicher war, was ich erwarten sollte, aber dann wurde mir klar, dass Idris’ nächstes Spielchen sich nicht aufs Essen bezog. Die anderen Gäste in dem Deli erhoben sich nach und nach von ihren Plätzen und stellten sich in einer Reihe auf wie in einer Revue.
So präzise, als wollten sie den Rockettes Konkurrenz machen, legten sie dann eine völlig synchrone Tanznummer hin. Ich schaute unwillkürlich mit offenem Mund zu, während ältere Frauen, dickbäuchige Herren mittleren Alters, Teenager und alle anderen Typen, die man eben zur Mittagszeit in einem Deli in Midtown antreffen konnte, über den Boden steppten und sprangen, als wäre es das Normalste von der Welt.
Ich riskierte einen Blick auf Mom und war sicher, dass diese Nummer ihr jetzt den Rest geben würde (selbst wenn sie nicht schon dem Nervenzusammenbruch nahe gewesen wäre). Doch sie starrte begeistert und mit glänzenden Augen auf die Stegreif-Revue. Ich schaute wieder zu den Tänzern und erwartete ängstlich das schwungvolle Hochwerfen der Beine, das ganz sicher am Ende der Nummer stehen würde. Die meisten dieser Leute sahen allerdings aus, als brauchten sie einen Flaschenzug, wenn sie so etwas hinkriegen wollten.
Das Seltsame war, dass ich, ohne wirklich Musik zu hören, das Gefühl hatte, die gleiche schwungvolle Melodie zu vernehmen wie die, nach der die anderen Deli-Gäste tanzten. Unwillkürlich wippte ich unter dem Tisch mit dem Fuß. Ich zwang mich, damit aufzuhören und schlang meine Füße um die Stuhlbeine, um dem Drang zu widerstehen, mich unter die Tanzenden zu mischen.
Ich hatte keinen Zweifel, dass Idris hinter dieser Sache steckte. Es sah ganz danach aus, als wäre diese Nummer das Ergebnis des Kontrollzaubers, den er früher verkauft hatte. Das war der Zauber, den Owen in meinem Beisein an Jake getestet hatte und der auch während des Wein-Dinners Verwendung gefunden hatte. Ich riss meine Augen von den Tänzern los, welche gerade eine ausgefeilte Busby-Berkeley-Formation bildeten, die von der Decke aus betrachtet wahrscheinlich beeindruckend war. Dann wandte ich mich Idris zu. Er war bleich, und ihm lief der Schweiß übers Gesicht, aber er schien noch gebannter von den Ereignissen zu sein als Mom. Er bewegte seine Finger, und die Formation änderte sich. Das Einzige, was jetzt noch fehlte, war ein Brunnen, der sich in der Mitte des Deli erhob, oder vielleicht eine riesige Treppe, über die die Showgirls hinauf- und hinunterschweben konnten.
Die Kellnerin kam mit einem Tablett voller Essen aus der Küche und blieb schockiert stehen. Idris sah mich an und grinste – zur Abwechslung mal ein nichthöhnisches, nichtbedrohliches Grinsen. »Sehen Sie sich das an!«, rief er. Im nächsten Moment verwandelte sich das Tablett der Kellnerin in einen Fächer aus Federn und sie lief in die Menge der Tanzenden hinein und wieder heraus, während sie mit
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