Katrin mit der großen Klappe
Ärger
kriege.“
„Verschwunden?“ wiederholte
Silvy spöttisch, „du willst wohl sagen, du hast es verschwinden lassen?!“
Katrin lächelte. „Ganz wie du
meinst“, sagte sie zuckersüß, wandte sich ab und spazierte mit großen Schritten
auf das Schulhaus zu.
Sie konnte förmlich spüren, wie
die anderen hinter ihrem Rücken sich aufgeregt berieten.
Das geschieht ihnen recht,
dachte sie triumphierend, da habe ich ihnen mal eine Nuß zu knacken gegeben!
Das beste wäre, ich ginge wirklich zu Mohrchen! — In Wahrheit hatte sie das gar
nicht vor, denn es widerstand ihr, die anderen hereinzureißen, und sie wußte
auch, daß sie sich damit endgültig außerhalb der Gemeinschaft gestellt hätte.
Es blieb ihr schließlich gar
keine Gelegenheit, ihre Drohung wahr zu machen. Sie war noch gut fünf Schritte
von Frau Dr. Mohrmann entfernt, die gerade Seite an Seite mit einer Kollegin um
eine Ecke geschlendert kam, als Leonore von hinten auf Katrin losschoß, sie
beim Arm packte und zurückriß.
„Ist etwas?“ fragte Katrin mit
gespielter Harmlosigkeit.
„Geh nicht zu Frau Mohrmann“,
stieß Leonore atemlos hervor. „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
Leonore fühlte sich gar nicht
wohl in ihrer Rolle, die sie genau zwischen die alten Freundinnen und Katrin
stellte.
„Ach, du weißt schon...“, sagte
sie unglücklich.
„Ich weiß, daß Silvy mir das
Heft geklaut hat“, erklärte Katrin kühl. „Und da sie anscheinend nicht daran
denkt, sich bei mir zu entschuldigen und es zurückzuerstatten...“
„Du kriegst es ja wieder, ganz
bestimmt!“
„Und wann, wenn ich fragen
darf? Wann wird das gnädige hochzuverehrende Fräulein Silvy sich
herablassen...“
„Red bloß nicht so
geschwollen!“ unterbrach Leonore sie nervös. „Ich will dir doch nur helfen!“
„Ich brauche keine Hilfe, mir
geht es um mein Recht!“
„Aber gerade das sollst du
ja...“, Leonore stockte, fuhr zögernd fort: „Das sollst du ja kriegen! Hör mal,
du wolltest doch heute nachmittag zu mir nach Hause kommen. Es bleibt dabei,
ja? Dann können wir alles miteinander besprechen.“
Katrin überlegte. Frau Dr.
Mohrmann und ihre Kollegin waren längst weitergegangen. Da sie nie wirklich
vorgehabt hatte, Silvy anzuzeigen, war es wohl das beste, sich mit Leonores
Vorschlag einverstanden zu erklären. „Also gut“, sagte sie. „Ich komme.“ Aber
sie hatte schon in diesem Augenblick das Gefühl, daß man ihr eine Falle
stellte. Und je länger sie darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es ihr,
daß die anderen etwas gegen sie im Schilde führten. Wenn sie nur einen Menschen
gehabt hätte, den sie hätte um Rat fragen können! Aber die Großmutter durfte
sie unmöglich mit solchen Sachen belasten, Anette hätte sie nur ausgelacht, und
die Mutter — ja, die Mutter hätte sie verstanden, aber die Mutter war weit
fort, und ehe ein Brief sie erreichen konnte, war, so hoffte Katrin, längst
alles vorüber.
Doch bei Tisch war sie so
still, daß es selbst der alten Frau Bär auf fiel.
„Was hast du nur?“ fragte sie.
„Hat es Ärger in der Schule gegeben?“
„Ich bin nur müde“, erklärte
Katrin ausweichend.
„Dann leg dich ein Stündchen
hin, bevor du dich an deine Schularbeiten machst.“
„Geht nicht“, sagte Katrin
einsilbig. „Ich muß nachher noch fort.“
Mußte sie wirklich fort? Wäre
es nicht gescheiter gewesen, Leonores Aufforderung einfach nicht zu befolgen?
Und, wenn morgen das Aufsatzheft immer noch nicht da war, sich tatsächlich bei
Frau Dr. Mohrmann zu beschweren?
Das war es, was Katrin durch
den Kopf ging. Aber selbst wenn sie es für vernünftiger gehalten hätte, wäre
sie nicht imstande gewesen, so zu handeln. Sie mußte einfach herausbringen, was
die anderen vorhatten, und sie war entschlossen, ihnen die Zähne zu zeigen.
Doch sie war auf das Schlimmste
gefaßt, als sie gegen vier Uhr an der Haustüre von Müllers Einfamilienhaus
klingelte. Es dauerte einige Minuten, bis Leonore ihr öffnete, und dann hatte
sie ganz rote Wangen und wirkte so aufgeregt, wie man es gar nicht an ihr
gewohnt war.
„Pst!“ zischte sie und legte
den Finger auf die Lippen, ehe Katrin noch ein Wort der Begrüßung vorbringen
konnte. Sie schlug die Haustüre zu, faßte Katrin bei der Hand und zog sie in
einen Nebenraum, das Bügel- und Nähzimmer ihrer Mutter.
„Was ist los?“ fragte Katrin.
„Ist jemand krank bei euch?“
„Nein, nein, wir sind alle
gesund, nur...“ Sie stockte.
Katrin tat
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