Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
werd’s schon finden.“ Sie versuchte uninteressiert zu klingen.
„Fichtenstraße, in dem alten Fabrikgebäude.“
Katrin legte zufrieden auf. Sie hatte wie eine professionelle Detektivin gearbeitet. Die Sache fing an, ihr Spaß zu machen. Gut gelaunt griff sie nach dem Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Den anonymen Anruf hatte sie beinahe völlig aus ihren Gedanken gestrichen.
Zehn Minuten später bog sie in die Fichtenstraße ein. Bestürzt musste sie feststellen, dass hier nahezu jedes zweite Gebäude wie eine alte Fabrik aussah. Kurz entschlossen parkte sie den Wagen und ging zu Fuß weiter. Es herrschte ein reger Verkehr auf der kleinen Straße. Unzählige Autos und Lastwagen ratterten vorbei, während Katrin versuchte, den unverwechselbaren Sound einer Bandprobe auszumachen. Aufmerksam blickte sie sich um. In den achtziger Jahren war diese Gegend ziemlich verrufen gewesen. Auf einer der Querstraßen hatten sich Hausbesetzer Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Obwohl diese Zeiten längst vorbei waren, hatten die Straßenzüge dieses aufrührerische Flair, klangen die Namen noch immer ein wenig nach Anarchie und Straßenschlacht.
Katrin blieb an einer Einfahrt stehen, um einen kleinen, weißen Transporter rangieren zu lassen. Sie war jetzt bereits über hundert Meter gelaufen. Auf einmal bemerkte sie ein Geräusch, einen regelmäßigen, dumpfen Rhythmus. Sie hatte den Probenraum gefunden. Sie folgte dem Sound in einen Hof und eine Treppe hinunter zu einem Kellerraum. Eine schwere Eisentür versperrte ihr den Weg. Sie hakte ein wenig und Katrin musste mit aller Kraft ziehen, um sie so weit aufzubekommen, dass sie hineinschlüpfen konnte. Die Lautstärke wurde jetzt beinahe unerträglich. Es war recht dämmerig und sie blickte sich suchend im Halbdunkel um. Sie ging einen kurzen Gang entlang, dann bog sie um die Ecke. Das Geräusch erstarb unvermittelt. Ein Schlagzeuger, ein Keyboarder, ein Bassist und ein Gitarrist beäugten sie nicht besonders freundlich. Sie fühlte sich wie ein Eindringling.
„Gibt’s was?“, rief der Junge mit der Gitarre. Sein Gesicht war verärgert. Er trug schwere, schwarze Stiefel, eine Lederjacke und die dunkelbraunen Haare hingen ihm bis in die Augen.
„Ist Timm Meinardt hier? Ich würde gern kurz mit ihm sprechen.“
„ Biste auch von den Bullen oder was?“
Katrin schüttelte den Kopf und machte ein paar zaghafte Schritte auf die Musiker zu. Sie wäre beinahe über eine Rolle Kabel gestolpert und musste vorsichtig über eine Anzahl Kartons steigen. Schließlich stand sie vor einer Art Bühne, auf der sich die vier Jungen befanden und sie feindselig anstarrten.
„Ich komme von Tamaras Eltern.“ Wieder so eine praktische Halblüge. „Wer von euch ist Timm?“
Der Schlagzeuger trommelte kurz und heftig, aber nicht unrhythmisch auf sein Instrument ein und stand dann auf. Er sprang von der Bühne.
„Mach’s kurz, Timm. Wir haben schon genug Zeit durch die Bullen verloren.“
Der Junge mit der Lederjacke deponierte seine Gitarre vorsichtig auf dem Boden und griff nach einer Flasche Bier, die in einem Kasten in der Ecke stand. Er öffnete sie geschickt am Bühnenrand, indem er sie an die Kante hielt und die flache Hand einmal kurz auf den Kronkorken knallte.
Timm folgte Katrin schweigend in die andere Ecke des Raums. Sie musterte ihn unauffällig. Er sah sehr sympathisch aus. Schulterlanges, blondes Haar, leuchtend blaue Augen, die eine herzliche Wärme ausstrahlten, der auch die schmutzige Jeans und das schlecht sitzende T-Shirt nichts anhaben konnten. Es gab bestimmt eine ganze Reihe Mädchen am Schiller-Gymnasium, die ihn anhimmelten. Was wollte ausgerechnet er wohl von einer Außenseiterin wie Tamara?
„Wie geht es ihnen?“
Katrin blickte ihn einen Augenblick lang verwirrt an.
„Ich meine Tamaras Eltern. Muss schrecklich für sie sein.“
„Oh, ja. Sie leiden sehr. Vor allem ihre Mutter. Ich glaube, sie hat es noch gar nicht richtig begriffen.“
Timm nickte nur. Er spielte verlegen mit den Sticks , ließ sie durch die Finger gleiten und schlug sie dann mit kurzen, harten Schlägen aufeinander.
„Wann hast du Tamara denn zum letzten Mal gesehen?“
„Ist ewig her. Hab ich der Polizei auch schon gesagt.“
„Aber ihr seid euch doch jeden Tag in der Schule begegnet?“
„Wenn sie da war.“
Der Rhythmus, mit dem er die Sticks aufeinander schlug, wurde heftiger.
„Hat sie so oft blau gemacht?“
„In letzter Zeit
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