Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
was passiert?“
„Nein. Es ist nur wegen heute Abend. Ich wollte mit meiner Mutter ins Theater gehen. Und gerade hat mein Babysitter angerufen und abgesagt. Mir ist klar, dass du selbst viel um die Ohren hast, aber ich weiß nicht, wen ich sonst fragen kann. Meinst du, du kannst es einrichten?“
Katrin seufzte. Sie hatte sich auf ein paar ruhige Stunden gefreut. Im Fernsehen lief einer ihrer Lieblingsfilme, Casablanca, und sie hatte sich vorgenommen, eine Flasche Wein zu öffnen und den Abend so richtig zu genießen.
„Geht schon in Ordnung.“
„Danke, Katrin. Bitte sei so gegen sieben hier. Ist echt total nett von dir. Ich revanchier mich bei Gelegenheit.“
Katrin legte auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Also doch kein gemütlicher Abend zu Hause, sondern Chaos und kleine Kinder. Na ja, der Fernseher lief ihr ja nicht weg, und gute Filme konnte man schließlich auch in der Videothek ausleihen. Sie ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer gleiten, über die bequeme kleine Couch, den Holztisch vom Trödelmarkt, die schwarz lackierten Bücherregale und den alten Schaukelstuhl. Sie mochte diesen Raum. Sie fühlte sich wohl in ihrer Wohnung, die sie mit Sorgfalt und viel Liebe zum Detail eingerichtet hatte. Ihre Eltern hatten sie ihr zum Abitur geschenkt. Damals vor neun Jahren war das für sie wie ein Ticket in die Freiheit gewesen. Endlich konnte sie tun, was sie wollte und wann sie es wollte. Ihre Mitschüler hatten sie glühend beneidet. Eine eigene Wohnung ganz für dich allein. So ein Geschenk hätten wir auch gern. Du hast es gut. Reiche Eltern müsste man haben. Katrin war überglücklich gewesen. Und sie hatte darauf bestanden, nach Bilk zu ziehen. Ihre Eltern hatten versucht, sie umzustimmen: Warum bleibst du nicht hier in der Nähe? Es gibt so schöne kleine Wohnungen in Niederkassel oder Lörick . Was willst du denn da drüben?
Aber Katrin war eisern geblieben. Sie wollte nicht direkt um die Ecke wohnen. Sie wollte auf die andere Rheinseite. Bilk war ihr ideal erschienen. Hier war sie in der Nähe des Zentrums und wohnte dennoch ruhig, und wenn sie im Frühling aus dem Wohnzimmerfenster blickte, konnte sie auf der Düssel die Entenküken beobachten, die im seichten Wasser ihre ersten Schwimmversuche machten.
Sie blickte auf die Uhr. Um zwei war sie mit ihrer Mutter in der Stadt verabredet. Es wurde Zeit. Sie musste sich auf den Weg machen.
Dieser verdammte Engel. Er hätte ahnen müssen, dass diese Figur ihm Unglück bringen würde. Das größte Unheil kommt immer in der harmlosesten Verkleidung. Warum hatte er ihn nicht zusammen mit den Anziehsachen im Fluss versenkt? Das wäre die einfachste Lösung gewesen. Er starrte in das trübe, graubraune Wasser. Der Rhein floss völlig gleichgültig unter ihm her. Ein Kahn, dessen Ladung so schwer war, dass er sich bis fast an die Reling im Wasser suhlte, glitt lautlos unter der Brücke hindurch. Eine Frau hing Wäsche auf die Leine, und ein Hund jagte eine Taube, die es sich an Deck bequem gemacht hatte. Es war ihm auf eine seltsame Art unbegreiflich, wie für andere Menschen der Alltag ganz normal weiterlief, während seine eigene Welt immer mehr aus den Fugen geriet.
Kann man Fingerabdrücke auf Stein hinterlassen? Er war sich nicht sicher. In der ersten Panik hatte er gar nicht darüber nachgedacht und die Figur mitgenommen. Aber dann hatte er seine Meinung geändert. Die steinerne Oberfläche war viel zu uneben und rau. Oder doch nicht? Er wusste nicht mehr, was er glauben sollte.
Diese dämliche Statue! Er hätte nicht gedacht, dass jemand sie vermissen und ernsthaft danach suchen würde. Es wäre ja auch niemandem etwas aufgefallen, wenn dieses verdammte Bild nicht wäre. Wenn dieses Mädchen, diese Katrin, nicht dieses verfluchte Foto gemacht hätte.
Dieses Mädchen. Katrin. Hoffentlich machte sie keinen Blödsinn. Sie war viel zu neugierig. Sie machte ihm mehr Angst als die Polizei. Warum musste sie sich da auch einmischen? Was hatte sie damit zu tun? Alles wegen des Fotos. Das Bild von dem Engel. Dieser verfluchte Engel. Er würde ihm zum Verhängnis werden. Er ahnte es. Ihm oder ihr.
Er würde ihr ungern wehtun. Das war anders als bei Tamara. Nein, er wollte ihr wirklich nichts antun. Aber wenn sie weiter herumschnüffelte, was blieb ihm anderes übrig? Verdammte Neugier. Er drehte sich langsam um und ging mit schweren Schritten zurück zum Auto. Hoffentlich hatte der Anruf etwas bewirkt. Vielleicht hatte sie einen
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