Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
schäbig aus, und die Regale mit den Videokassetten und DVDs wirkten, als hätte der Inhaber sie aus dem Sperrmüll herausgekramt. Katrin fragte sich, wie er sich gegen die Konkurrenz der großen Ketten wohl behaupten konnte. Ein Mann stand hinter der Theke und warf ihr einen kurzen, abschätzenden Blick zu. Wahrscheinlich kamen selten fremde Leute in sein Geschäft. Er war um die vierzig und wirkte etwas ungepflegt. Die dünnen, fettigen Haare streiften die muskulösen Schultern. Auf seinem ausgewaschenen dunklen T-Shirt stand in dicken Buchstaben AC DC. Von dem kleinen Schild an der Eingangstür wusste Katrin, dass er Christian Gutsche hieß.
Außer Katrin befanden sich zwei weitere Kunden im Geschäftsraum. Ein blonder, junger Mann stand bei dem Inhaber an der Ladentheke und eine rothaarige Frau mittleren Alters stöberte in der Abteilung mit Kinderfilmen. Sie hatte ihre zwei prall gefüllten Einkaufstaschen auf dem Boden abgestellt, um die Hände frei zu haben. Mit linkischen Handbewegungen fischte sie die Kassetten aus dem Regal und begutachtete sie gewissenhaft. Sie war offensichtlich stark kurzsichtig, denn sie hielt die Filme so dicht an ihr Gesicht, dass sie beinahe mit der Nase an die Plastikhüllen stieß.
Katrin schritt langsam die ramponierten Regale ab. Sie dachte an Timms Worte. Dieser Laden sah genauso aus, wie sie es sich vorgestellt hatte. An einem solchen Ort spielten sich in ihrer Phantasie krumme Geschäfte ab. Sie erreichte eine Ecke, über der ein Schild ›Filme für Erwachsene‹ ankündigte. Neugierig studierte sie die Titel. Erst als sie den abschätzigen Blick der anderen Frau spürte, drehte sie sich weg und nahm sich eine andere Abteilung vor. Der junge Mann griff jetzt nach einer Tüte auf der Theke und eilte mit langen Schritten auf die Tür zu. Er warf Katrin einen hastigen Blick zu und verließ die Videothek.
Die rothaarige Frau hielt mittlerweile drei Videokassetten in der Hand, deren Cover sie mit gerunzelter Stirn studierte. Katrin begutachtete rastlos das Regal mit Actionfilmen. Sie war nicht in der Lage, sich auf die Titel zu konzentrieren. Sie hatte beschlossen, zu warten, bis sie allein im Laden war. Sie wollte Christian Gutsche ansprechen und so tun, als wisse sie Bescheid. Sie war ein wenig nervös. Sie hatte ja überhaupt keine Ahnung, um was für krumme Geschäfte es sich handelte, aber sie vermutete, dass es um illegale Filme ging. Vielleicht ungekürzte Horrorfilmfassungen aus dem Internet oder Kinderpornos? Ihr brach der Schweiß aus. Wie würde der Mann reagieren? Womöglich ging es um etwas ganz anderes. Vielleicht hatte Tamara sich das Ganze ausgedacht. Oder Timm hatte gelogen. Vermutlich würde sie sich bis auf die Knochen blamieren.
Die andere Frau hatte sich offensichtlich entschieden. Sie brachte eine Videohülle zur Theke. Es dauerte allerdings noch einige Minuten, bis sie den Film in einer ihrer Taschen verstaut hatte und endlich den Laden verließ. Katrin schritt jetzt rasch auf Gutsche zu. Er stierte sie an. Sein Gesicht wirkte träge und teilnahmslos.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“
„Ich hätte gern was aus dem übrigen Angebot.“
„Wie bitte?“ Er klang ehrlich überrascht, fast ein wenig belustigt. Sein Blick wanderte in die Ecke mit den Pornofilmen, die Katrin sich kurz zuvor angesehen hatte.
„Suchen Sie sich was aus. Sie haben freie Auswahl.“ Er strich sich mit den Fingern durch die schmierigen Haare und grinste sie herablassend an.
„Ich meine die Filme, die nicht hier im Laden rumstehen .“
Er antwortete nicht sofort. Eine Sekunde lang hatte sich sein Gesicht entsetzt verzogen, aber dann grinste er wieder.
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Wenn Ihnen unsere Auswahl nicht gefällt, dann geh’n Sie doch woanders hin.“
Katrin spürte Panik in sich hochsteigen, aber sie hatte das kurze Entsetzen in seinen Augen gesehen und sie wusste, dass sie auf der richtigen Spur war.
„Sie wissen genau, was ich meine. Tamara hat mir den Tipp gegeben. Ich weiß Bescheid.“
„Dieses verfluchte Miststück. Selbst jetzt, wo sie tot ist, richtet sie noch Schaden an. Verdammtes kleines Biest.“ Ihm wurde plötzlich klar, was er gesagt hatte und er biss sich auf die Lippe. „Tut mir Leid. Ich weiß, ich sollte nicht so über eine Tote reden. Vor allem, wenn man bedenkt, wie sie –.“ Er brach ab und starrte finster vor sich hin. „Wer sind Sie überhaupt? Für eine Freundin von Tamara sind Sie doch wohl ein bisschen zu alt.
Weitere Kostenlose Bücher