Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
einer Haustür stehen und überlegte, ob sie einfach irgendwo schellen sollte. Sie war hierher gefahren, um sich ein Bild von Claudia Heinrichs Kindheit zu machen. Sie war neugierig geworden, wollte eine Spur finden von dem kleinen Mädchen auf dem Foto, das so unbeschwert frech in die Kamera lachte, und vielleicht auch eine Erklärung für das, was vor zwei Wochen mit ihr geschehen war. Hier auf dieser Straße war Claudia aufgewachsen. Das hatte Thomas erzählt. Allerdings wohnte mittlerweile längst niemand aus ihrer Familie mehr hier. Nachdem ihre Mutter eines Tages einfach verschwunden war, blieb Claudia mit ihrem Vater allein. Sie zog erst fort, als sie Thomas Heinrich heiratete. Claudias Vater war wenige Jahre später gestorben, vermutlich aus Verbitterung darüber, dass die zwei Frauen in seinem Leben ihn beide im Stich gelassen hatten. So hatte zumindest Thomas’ zynischer Kommentar gelautet.
Aber Katrin war nicht nur wegen Claudia hier. Noch ein anderer Gedanke spukte in ihrem Kopf herum, der sich einfach nicht abschütteln ließ. Drei Menschen waren in den letzten Tagen in Düsseldorf gewaltsam zu Tode gekommen, und obwohl ihr Verstand ihr immer wieder klarmachte, dass die drei Fälle nicht das Geringste miteinander zu tun haben konnten, beharrte ihr Instinkt hartnäckig darauf, dass es womöglich doch eine Verbindung gab. Wenn sie also in einem dieser Todesfälle auf eine Spur stieß, so glaubte sie, dann würde sich vielleicht dadurch eine Verbindung zu den beiden anderen ergeben.
»Na, zu wem wollen Sie denn ?«
Eine alte Frau war unvermittelt hinter Katrin aufgetaucht und klapperte mit dem Haustürschlüssel. Sie war ein korpulenter, mütterlicher Typ, trug ein geblümtes Kleid, und ihre Haare waren zu einem altmodischen Knoten frisiert, der in einem Haarnetz steckte. Auf ihrem Gesicht strahlte ein herzliches Lächeln.
»Hat Claudia Heinrich, ich meine Claudia Wildmeister, so hieß sie damals, nicht früher hier mal gewohnt ?«
Katrin war auf die Schnelle nichts Besseres in den Sinn gekommen, als einfach mit der Tür ins Haus zu fallen, aber das Gesicht der Frau verriet ihr, dass das kein guter Anfang war. Vermutlich hielt sie Katrin für eine aufdringliche Klatschreporterin oder sonst eine unangenehme, neugierige Person, die aus dem Schicksal anderer Profit zu schlagen suchte.
»Warum wollen Sie das wissen ?« Das Lächeln war erloschen und das faltige Gesicht hatte sich misstrauisch verzogen.
»Claudia war so eine Art Tante für mich .« Katrin fühlte sich etwas unwohl bei dieser Behauptung. Sie hatte zwar Thomas Heinrich immer als so etwas wie einen Onkel empfunden, aber zu Claudia hatte sie keine engere Beziehung gehabt. Sie kam sich vor wie eine Lügnerin. Die Frau sah Katrin überrascht an. Dann wurde ihr Blick ernst.
»Sie hat sich das Leben genommen, nicht wahr? Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Das arme Kind.« Sie starrte auf den Schlüssel in ihrer Hand. Dann blickte sie wieder zu Katrin. »Und was wollen Sie hier ?«
»Claudia hat mir ein paar Dinge hinterlassen. Schmuck. Und auch ein paar Fotos aus ihrer Kindheit. Ich war einfach neugierig, wollte wissen, wo die aufgenommen wurden. Ich glaube, dass das hier im Garten hinter dem Haus gewesen sein muss. Wohnen Sie schon länger hier? Kannten Sie sie ?«
Die alte Frau nickte gedankenverloren und ihr Blick schweifte in die Ferne. »Sie war ein wildes Mädchen. Wild und verrückt. Immer mit den Jungens unterwegs.« Sie lächelte versonnen. Dann sah sie Katrin an.
»Na, dann kommen Sie mal mit rein. Hier draußen ist es viel zu heiß zum Reden .« Sie schloss die Haustür auf.
»Nein, das ist wirklich nicht nötig«, wehrte Katrin ab.
»Nun, komm schon, Kind, hier draußen hält es ja kein Mensch aus .« Sie hielt die Haustür auf, als duldete sie keinen weiteren Protest. »Mein Name ist Erna Fassbender, Kindchen, und wie heißen Sie ?«
»Katrin Sandmann. Thomas Heinrich, Claudias Mann, ist ein Studienfreund meines Vaters .«
Erna Fassbender führte Katrin durch eine kühle, geräumige Diele im Parterre des Mietshauses in eine enge, schmale Küche mit Blick auf einen kleinen Garten. Katrin warf einen Blick durch das Fenster. Eine baufällige Mauer aus Ziegelsteinen und ein paar hohe, alte Bäume säumten das Grundstück, und auf dem gelblich vertrockneten Rasen standen rostige Metallstangen, zwischen denen eine rote Wäscheleine gespannt war. Ein halbes Dutzend hölzerne Wäscheklammern verteilten sich in unregelmäßigen
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