Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
Abständen darauf wie einsame Wachposten im Niemandsland. Katrin musterte den Garten interessiert. Ob dies der Ort war, an dem vor dreißig Jahren das Foto gemacht worden war? Das Bild, das sie in ihrer Tasche trug und von dem sie sich erhoffte, dass es den Schlüssel zu Claudias rätselhafter Persönlichkeit und zu ihrem tragischen Tod verbarg?
»Möchten Sie etwas trinken? Ich hab allerdings nicht viel im Haus. Nur Sprudelwasser.« Erna lächelte Katrin entschuldigend an und rückte ihr einen Küchenstuhl zurecht. Katrin setzte sich.
»Machen Sie sich keine Umstände. Ein Wasser wäre schön .«
Nachdem Erna Fassbender Katrin ein Glas Wasser hingestellt hatte, setzte sie sich zu ihr an den Tisch. Katrin sah sich neugierig in der Küche um. Dann fragte sie:
»Erinnern Sie sich gut an Claudia ?«
»Ja, natürlich. Sie war ein nettes Mädel. Ein bisschen wild halt, aber gut erzogen. Sie hat immer mit den Jungs gespielt. Die Kinder hatten damals so was wie eine Bande, einen Club oder so .« Sie lächelte.
Katrin kramte das vergilbte Foto aus ihrer Handtasche und hielt es Erna Fassbender hin. »Sind das die Kinder? Claudia und ihre Freunde?«
Erna Fassbender hielt sich das Bild dicht vor das Gesicht. »Das könnte schon sein. Ich kann leider nicht viel erkennen. Warten Sie, ich hole meine Lesebrille .« Sie stand auf und schlurfte aus der Küche. Katrin fiel auf, dass sie für ihr Alter und ihre behäbige Figur recht beweglich war. Sie mochte achtzig oder sogar älter sein. Erna kam zurück. In der Hand hielt sie ein schwarzes Etui. Sie ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder und öffnete es umständlich. Dann setzte sie sich eine schmale Brille mit silberner Fassung auf die Nase. Sie griff nach dem Foto und begutachtete es erneut.
»Ja, das ist Claudia«, murmelte sie dann, »so ein verrücktes Mädel. Immer draußen auf der Straße, immer mit der Bande unterwegs.« Sie seufzte.
»Was ist mit den anderen ?« , fragte Katrin vorsichtig.
Erna Fassbender studierte das Foto eingehend. »Das könnte der Junge sein, der direkt nebenan gewohnt hat. Wie hieß er noch ?« Sie tippte mit der Fingerspitze auf den Jungen, der ganz am Rand der Gruppe stand. »Ach, ich komme nicht mehr drauf. Die sind weggezogen. Ich weiß es nicht mehr. Aber Angelika erinnert sich bestimmt .« Sie zögerte kurz. Dann wurden ihre Gesichtszüge plötzlich starr. Sie schob das Foto über die Tischplatte zu Katrin. »Sie sollten das Foto wegpacken«, erklärte sie abrupt.
»Warum ?« , fragte Katrin überrascht. Mit einer Mischung aus Unbehagen und dem Gefühl, das ein Raubtier haben muss, das eine Fährte wittert, sah sie die alte Frau an. Aber die schüttelte bloß den Kopf.
»Wer ist denn Angelika ?«
Erna Fassbender schüttelte wieder den Kopf. »Lassen Sie mir bloß Angelika damit in Ruhe. Die hat auch so genug Kummer. Der Mann macht ihr das Leben zur Hölle. Und dann der Bruder...«
Katrin sah die alte Frau erwartungsvoll an, aber sie starrte nur stumm auf den Tisch. Dann fragte sie plötzlich. »Sie zeigen das Bild doch nicht Angelika ?«
»Warum nicht?«
»Ist nicht wichtig, nicht für Sie. Lassen Sie sie nur einfach in Ruhe damit. Sie sind doch ein liebes Mädel, nicht wahr ?« Sie tätschelte Katrins Hand. Katrin nickte zustimmend. Im Stillen aber nahm sie sich vor herauszufinden, wer diese Angelika war. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass es doch wichtig für sie sein könnte. Dann sagte sie:
»Ich kann Ihnen nicht genau erklären warum, aber ich muss die Namen der anderen Kinder herausfinden. Würden Sie sich denn das Bild noch einmal ansehen? Ich bin Fotografin. Ich mache eine Vergrößerung, dann können Sie die Gesichter besser erkennen .« Sie sah die alte Frau erwartungsvoll an.
»Also, Kindchen, ich weiß nicht .« Sie schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Man soll die Vergangenheit ruhen lassen.«
»Welche Vergangenheit?«
Erna Fassbender schüttelte nur wieder den Kopf. »Also gut, Mädel. Bringen Sie mir das vergrößerte Foto, und ich werde sehen, ob ich Ihnen helfen kann. Aber ich weiß nicht, ob ich mich an alle Namen erinnere .«
Als Katrin gegen zwölf aus der Tür trat, bemerkte sie eine Bewegung hinter der Gardine im Parterre des Hauses, das sie gerade verlassen hatte, und sie wusste, dass die alte Frau sie beobachtete. Langsam schlenderte sie die Straße entlang zu ihrem Golf. Sie war sicher, dass es Erna Fassbender lieber wäre, sie würde nicht wiederkommen. Und sie war fest entschlossen
Weitere Kostenlose Bücher