Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
hatte sie sich zuerst gefreut, aber dann war ihr die Angst in die Glieder gefahren. Seit drei Tagen wünschte sie sich nichts sehnlicher als endlich etwas über Katrins Verbleib in Erfahrung zu bringen. Daher war ihre Freude darüber, dass es offensichtlich endlich so etwas wie eine Spur zu geben schien, zunächst groß gewesen. Doch schon als sie das Telefon weglegte und ihre Jacke anziehen wollte, überfiel sie der Gedanke, dass Gewissheit auch Endgültigkeit bedeutete. Solange Katrin einfach verschwunden war, konnte sie – zumindest theoretisch – doch Hals über Kopf verreist sein; es konnte irgendeine harmlose Erklärung geben, auf die sie nur bisher nicht gekommen waren. Aber wenn jetzt irgendwo ihre Handschuhe aufgetaucht waren, schied diese Möglichkeit wohl aus.
Schon als man am Sonntag Katrins Wagen gefunden hatte, war es Roberta genauso ergangen. Die Nachricht hatte sie in ein Wechselbad widerstreitender Gefühle gestürzt. Zunächst hatte sie sich gefreut, dann hatte die Verzweiflung von ihr Besitz ergriffen. Inzwischen hatte sich die absurde Hoffnung in ihr breit gemacht, dass es auch für den im Unterholz versteckten Wagen eine harmlose Erklärung geben könnte. Mit jeder Stunde, die verging, hatte sie sich neue Szenarienzusammengesponnen, die den Autofund in Himmelgeist auf eine Art erklärten, die Katrin nicht zum Opfer eines Verbrechens machte. Es war wohl das, was die meisten Menschen taten; sich immer wieder an Illusionen klammern. Der Handschuhfund schien diese Hoffnung allerdings zunichte zu machen. Zumindest für den Augenblick.
Roberta bremste plötzlich und hupte wütend, als ein Mercedes aus einer Einfahrt geschossen kam, ohne die Vorfahrt zu achten. »Arschloch«, zischte sie, als sie wieder Gas gab. »Nur weil du hier in so einer fetten Villa residierst, hast du noch lange keine Vorrechte im Straßenverkehr.«
Die Polizeileitstelle von Mettmann lag direkt an der Landstraße. Roberta bog rechts in die Willettstraße und suchte sich einen Parkplatz. Als sie den Motor abgestellt hatte, blieb sie noch einen Augenblick im Wagen sitzen und starrte auf eine Art Kunstwerk, das den Platz hinter dem Gebäude zierte. Vier Fahrräder auf einer Eisfläche. Ein Brunnen. So sah es zumindest aus. Ganz sicher war sie nicht, denn die Schneemassen entstellten die Konturen der Skulptur. Zwischen dieser hochmodernen Anlage und dem alten Präsidium in Düsseldorf lagen Welten. Sie wusste nicht genau, welche ihr besser gefiel.
Ihr Blick wanderte zum Eingang des Gebäudes. Sie hatte es plötzlich nicht mehr so eilig hineinzukommen. Im Gegenteil. Sie war verunsichert. War das nicht merkwürdig? Das Auto hatte man im Süden von Düsseldorf direkt am Rhein entdeckt und die Handschuhe, wenn es tatsächlich Katrins waren, kilometerweit davon entfernt in einer kleinen Stadt östlich von Düsseldorf. Schon seltsam. Oder hatte Katrins Entführer nur seine Spuren besonders sorgfältig verwischt? Hatte er Katrins Wagen absichtlich an einem Ort versteckt, der sehr weit von ihrem Aufenthaltsort entfernt lag? Das klang nicht unlogisch. Es wäre auf jeden Fall ziemlich clever. Brindigalt als intelligent. Er hatte bei seinen früheren Taten keine Fehler gemacht, keine Spuren hinterlassen. Zumindest keine, die ihn überführt hätten. Er war nicht gefasst worden. Er hatte sich selbst gestellt.
Aber würde Brindi tatsächlich solche komplizierten Schachzüge vornehmen, nur um ganz sicher zu sein, dass man ihm nicht auf die Schliche kam? Roberta löste den Gurt. Nein, das erschien ihr nicht sehr wahrscheinlich. Warum sollte Brindi eine vollkommen überflüssige, falsche Spur legen? Das wäre viel zu riskant. Das Auto musste er verschwinden lassen, aber für die Handschuhe gab es keinen Grund. Das musste eine Panne gewesen sein.
Roberta stieß seufzend die Wagentür auf. Das Grübeln nützte überhaupt nichts, solange sie nicht wusste, ob es sich tatsächlich um Katrins Handschuhe handelte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als hineinzugehen und es herauszufinden. Die Wahrheit ließ sich nicht dadurch ändern, dass sie die Suche danach hinauszögerte. Sie stieg aus und knallte energisch die Wagentür zu. Entschlossen stapfte sie durch den Schneematsch auf die Glasfront zu.
16
Halverstett und seine Kollegin waren aufgestanden. Sie wollten nicht mehr länger auf Kabritzky warten. Der Kommissar war gerade im Begriff, sich von Gudrun zu verabschieden, als er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Manfred kam mit
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