Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
irgendwas Neues? Ich meine, haben Sie noch etwas anderes getan, als Unschuldigen hinterherzuschnüffeln ?«
Rita Schmitt setzte zu einer scharfen Entgegnung an, doch der Kommissar kam ihr zuvor. »Wir ermitteln in alle Richtungen, Manfred. Aber du weißt genau, für die Fahndung nach Brindi oder die nach Katrin bin ich offiziell nicht zuständig. Ich ermittle in einem Tötungsdelikt, das vielleicht etwas mit dem Verschwinden der beiden zu tun hat. Vielleicht aber auch nicht.«
»Aber Sie wissen etwas?«
Halverstett nickte. »Etwas, das uns im Augenblick allerdings nicht weiterhilft, sondern nur für zusätzliche Verwirrung sorgt. Die Spurensicherung hat jede Menge Fingerabdrücke in Katrins Golf gefunden. Sie haben noch nicht alle zugeordnet. Zwei Dinge stehen allerdings fest. Mario Brindis sind nicht dabei. Dafür aber die eines anderen Mannes, der bei der Polizei auch kein unbeschriebenes Blatt ist, eines gewissen Elko Mirth. Bis vor ein paar Monaten saß er im Gefängnis. Ein kleiner Fisch. Ein paar Diebstähle, zahlreiche Einbrüche. Und ein Reihe geknackter Autos.«
***
Katrin zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihr Handgelenk fuhr. Doch sie hielt nur eine Sekunde lang inne, dann rieb sie weiter.
Sie hatte die kleine Schraube in dem leeren, alten Regal vor etwa zwei Stunden entdeckt. Sie stand nur ein kleines Stückchen heraus. Drei oder vier Millimeter vielleicht. Aber sie war in der richtigen Höhe. Es hatte sie unendlich viel Mühe gekostet, sich trotz der Fesseln so vor das Regal zu positionieren, dass sie die Wäscheleine, mit der ihre Hände zusammengebunden waren, darüberreiben konnte. Mehrmals schon hatte sie mit der Schraube nicht die Leine, sondern ihre eigene Haut abgeschürft, und jedes Mal schmerzte es ein bisschen mehr, wenn sie erneut die gleiche, bereits geschundene Stelle traf. Sie konnte die Leine auf ihrem Rücken nicht sehen und wusste gar nicht, ob sie mit dieser schmerzhaften Aktion überhaupt etwas bewirkte, außer sich mit der ständigen Anstrengung wach und warm zu halten.
Doch sie war wie in Trance, spürte weder Hunger noch Müdigkeit, nur den Durst, der inzwischen zu einem Teil ihrer selbst geworden war; und von Zeit zu Zeit das Stechen in ihrer Hand. Als es plötzlich ruckte, erschrak sie beinahe. Dann begriff sie, dass sich etwas gelöst hatte. Sie zerrte, aber die Leine bewegte sich noch nicht. Hastig rieb sie weiter. Wieder traf sie ihre Hand, aber diesmal beachtete sie den Schmerz gar nicht. Wie besessen bewegte sie die Arme hin und her. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und ihr wurde beinahe heiß.
Dann, endlich, sprang etwas auseinander. Katrin zerrte und zog, und mit einem Mal waren ihre Hände frei. Tränen der Erleichterung liefen ihr über das Gesicht. Mit steifen, ungelenken Fingern riss sie an dem Knebel. Sie atmete tief durch, als das Stück Stoff zu Boden fiel. Es tat unendlich gut, nach der langen Zeit des kurzen, flachen Atmens durch die Nase endlich wieder den Mund aufreißen zu können und die Lungen mit Sauerstoff voll zu pumpen. Es war, als sauge sie mit der frischen, kalten Luft das Leben selbst ein. Zum ersten Mal seit Tagen spürte sie so etwas wie Hoffnung. Zuversicht. Sie hatte es soweit geschafft, jetzt würde sie auch einen Weg aus diesem Verlies finden.
Schließlich setzte sie sich auf den Boden und knibbelte den Knoten auf, der die Leine zusammenhielt, mit der ihre Fußgelenke gefesselt waren. Ihre Finger waren immer noch steif und es dauerte ein paar Minuten, bis sie es schaffte, die dünne Schnur zu entwirren. Doch endlich waren auch ihre Beine frei. Sie erhob sich, machte ein paar unsichere Schritte und begann schließlich, langsam hin und herzugehen. Mit jedem Schritt wurde sie sicherer. Eine Euphorie breitete sich in ihr aus, die sie trunken machte. Sie streckte die Arme aus und schrie. Der Schrei klang wie ein unbeholfenes Krächzen und brannte in ihrer ausgetrockneten Kehle. Trotzdem dröhnte ihre Stimme erschreckend laut durch die Stille. Rasch brach sie ab und lauschte ängstlich. Doch nichts passierte. Dann fiel ihr ein, dass womöglich jemand in Hörweite war, der ihr helfen konnte. Das wäre vielleicht ihre Rettung. Warum sonst hätte sich ihr Entführer die Mühe mit dem Knebel machen sollen?
Sie schrie noch einmal, diesmal lauter und länger. Dann spitzte sie erneut die Ohren. Doch wieder blieb alles still. Auch wenn sich ihre Hoffnung auf eine schnelle Befreiung nicht zu erfüllen schien, genoss
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