Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
waschen. »Na ja, dann habe ich doch was getan. Es konnte ja nicht endlos so weitergehen. Ich hatte ihre Handschuhe auf dem Boden vor der Kellertür gefunden. Eigentlich wollte ich sie behalten. Sie braucht sie ja nicht mehr, dachte ich. Aber dann habe ich sie einem Kumpel in die Hände gedrückt und ihn gebeten, sie bei der Polizei abzugeben. Ich habe ihm gesagt, er soll sagen, er hätte sie oben in Metzkausen gefunden, in der Nähe von diesem Kreisverkehr. Ich dachte, die Polizei durchkämmt dann bestimmt die ganze Gegend und findet das arme Ding.«
»Und als das auch nichts gefruchtet hat, sind sie gestern noch einmal zurückgekehrt?«
Huschke nickte. »Inzwischen wusste ich gar nicht mehr, ob ich überhaupt richtig gesehen hatte. Ich wollte nachgucken, ob sie wirklich noch da liegt.«
»Und dann?«
»Ich kam in das Haus und hörte ein Geräusch aus dem Keller. Ich habe eine Scheißangst gekriegt. Ich dachte, das ist vielleicht der Entführer, der die Leiche verschwinden lassen will. Ich habe mich hinter der Wohnzimmertür versteckt. Jemand kam die Kellertreppe hoch. Ich sah von der Tür aus den Schatten im Spiegel, es kam mir so vor, als würde jemand auf mich zukommen. Ich hatte die Flasche in der Hand. Doppelkorn. Noch halb voll. Es passierte einfach. Ich hatte Schiss, dachte, der bringt mich auch noch um. Also hab ich einfach zugeschlagen. Es ging alles so schnell.«
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Gesicht. Sie hinterließen bräunliche Streifen auf der Stirn und unter den Augen. Es sah ein wenig aus, wie eine verschmierte Kriegsbemalung.
»Und dann sah ich, dass es das Mädchen war, sie rührte sich nicht und alles war voller Blut. Da bin ich getürmt.«
***
Es stellte sich bald heraus, dass das Haus einem älteren Ehepaar gehörte, das jedes Jahr auf Mallorca überwinterte. Von November bis März stand es daher gewöhnlich leer. Ein Sohn, der in einem anderen Ortsteil von Mettmann wohnte, kam regelmäßig vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Doch im Augenblick war er selbst im Urlaub. Der Mann arbeitete in der Redaktion des Tempo Magazins, der Zeitschrift, für die Dagmar Ülzcin gelegentlich Artikel verfasste. Die ermittelnden Beamten werteten das als weiteres Indiz dafür, dass sie tatsächlich die Person war, die diese Entführung geplant hatte.
Später, als die Beamten alle längst weg waren, tauchte noch eine Person vor dem Haus auf und musterte die nackten Fenster, die ausdruckslos zurückstarrten. Hauptkommissar Halverstett war von einem Kollegen von der Fahndung auf dem Laufenden gehalten worden. Dass Katrin lebte und dass es ihr gut ging, hatte er bereits am Abend zuvor erfahren. Roberta hatte ihn angerufen. Nachdenklich betrachtete er das Haus, in dem Katrin die ganze Zeit gefangen gewesen war. Es unterschied sich in keiner Weise von den Nachbarhäusern, lediglich die Weihnachtsbeleuchtung fehlte. Nicht im Geringsten sah es nach der Todesfalle aus, die es für Katrin beinahe geworden wäre.
Wie viele merkwürdige Zufälle diesen Fall geprägt hatten; hätte der Polizist den Stadtstreicher am Sonntag nicht so lange warten lassen, wäre Katrin drei Tage früher gefunden worden. Und was wäre aus dem Fall geworden, wenn Elko Mirth am Freitagabend nicht tödlich verunglückt wäre? Hatte Dagmar überhaupt von dem Unfall erfahren? Oder hatte sie geglaubt, dass alles in Ordnung sei? Möglicherweise hatten die beiden vereinbart, nicht miteinander zu kommunizieren, damit ihnen niemand auf die Schliche kommen könne. Dann hatte die Frau vermutlich bis zum Schluss nicht gewusst, dass ihr Komplize seit Tagen tot war.
Aber was hatte sie überhaupt zu dieser Tat bewegt? War sie in Brindi verliebt gewesen? Oder einfach nur besessen von dem Glauben an seine Unschuld? Auf jeden Fall hatte sie die Polizei dazu bringen wollen, den Fall Brindi neu aufzurollen. Und das ausgerechnet in der Nacht, in der Brindi ebenfalls verschwand. Ob das auch nur ein Zufall war? Jedenfalls musste es ein schwerer Schock für sie gewesen sein. Denn damit durchkreuzte er all ihre Pläne und bewirkte genau das Gegenteil von dem, was sie mit der Entführung geplant hatte. Statt Zweifel an seiner Schuld auszulösen, bestätigte er so nicht nur seine früher begangenen Verbrechen sondern auch die allgemein verbreitete Überzeugung, dass Menschen wie er offensichtlich nicht zu heilen seien. Dass sie solche Gewalttaten wieder und wieder ausüben mussten.
Dagmar Ülzcin hatte vermutlich niemandem etwas Böses antun wollen.
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