Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
behandelt, hat ausgesagt, dass es durchaus möglich ist, dass er gar nicht mehr lebt.«
»Was?! Seit wann wissen die Kollegen das?«
»Seit zwei Stunden etwa. Kabritzky hat den Arzt aufgetrieben. Er hat es mir vorhin erzählt. Die Kollegen von der Fahndung sind gleich hingefahren. Brindi wird inzwischen als vermutlich Toter gesucht.«
Halverstett trat vom Fenster weg und ließ sich auf der Couch nieder. Rita Schmitt, die ebenfalls bis jetzt gestanden hatte, setzte sich zu ihm. Halverstett sah müde und alt aus. Zum ersten Mal hatte Rita den Eindruck, ein Fall wüchse ihm über den Kopf. Er atmete tief ein. »Und was ist mit Katrin?«, fragte er dann. »Irgendwelche Spuren?«
Rita schüttelte den Kopf. »Das Auto in Himmelgeist und ein Paar Handschuhe, die ihre sein könnten, in Mettmann. Das hilft uns überhaupt nicht. Die Handschuhe werden auf Gewebespuren untersucht, um herauszufinden, ob sie wirklich Katrin gehören, aber bis wir da ein Ergebnis haben, ist es sowieso zu spät. Außerdem verrät uns das nicht viel darüber, wo sie sich jetzt befindet. Die von der Fahndung haben Dagmar Ülzcins Wohnung auf den Kopf gestellt, aber es gibt nirgendwo einen Hinweis auf ein Versteck. Keine Schlüssel, die sich nicht zuordnen lassen, keine Adresse, kein Stadtplan, auf dem etwas markiert wäre.«
Halverstett schnaubte ungehalten. »Das wäre ja auch zu schön gewesen. Wie im Krimi. Die Polizei findet eine Landkarte, auf der eine Stelle angekreuzt ist, und genau dort wird die Entführte auch tatsächlich festgehalten. So einfach ist es leider selten.« Er seufzte. »Es wird Zeit, dass wir etwas herausfinden. Sie ist jetzt seit fünf Tagen weg. Selbst wenn der Täter ihr nichts angetan hat und sie körperlich unversehrt ist, wird es langsam knapp.«
21
Manfred heizte die Bergische Landstraße entlang. Es dämmerte bereits. In Düsseldorf hatte gegen Mittag Tauwetter eingesetzt und überall tropfte es von Dächern und Häuservorsprüngen. Im Wetterbericht war von einer Warmfront aus dem Westen die Rede gewesen, und für Heiligabend hatten sie das übliche mild-feuchte Schmuddelwetter angesagt. Es war schon jetzt bereits deutlich wärmer geworden.
Hier oberhalb der Großstadt allerdings hatte der Winter noch alles fest im Griff. Der Schnee lag nahezu unberührt und weiß auf den Feldern. Wolkenfetzen jagten wie schwarze Schatten über den Himmel, und sogar ein paar einzelne Schneeflocken tanzen vor den Scheinwerfern der Autos im gleißenden Licht. Die untergehende Sonne hatte den Himmel in tiefes Blutrot getaucht, und ein rötlicher Schimmer lag auch über den Häusern und Gehöften, die die Landstraße säumten.
Unter anderen Umständen hätte Manfred den Wagen in einen Feldweg gelenkt und die Sonne beobachtet, wie sie hinter den Hügeln verschwand. Auch wenn er es schon tausend Mal gesehen hatte; der Anblick war immer wieder märchenhaft, atemberaubend, ein kleines Wunder. Doch heute erinnerte er ihn nur daran, dass für Katrin eine neue Nacht anbrach, ihre sechste, die sie in Gefangenschaft verbrachte, einsam, ohne Nahrung, ohne Wasser und vermutlich in eisiger Kälte.
Er musste sie finden. Mit jeder Stunde standen ihre Chancen zu überleben schlechter. Während er Nacht für Nacht im warmen Bett gelegen hatte, war sie vermutlich durch die Hölle gegangen. Wieder durchzuckte ihn der Gedanke, dass sie möglicherweise längst tot war. Er krallte die Hände ins Lenkrad. Nicht aufgeben. Noch nicht.
Hier in Mettmann hatte man ihre Handschuhe gefunden. Falls es wirklich ihre waren. Roberta jedenfalls war überzeugt davon. Also würde er sie hier suchen. Irgendwo musste er ja anfangen. Warum also nicht hier? Er war zu dem Schluss gekommen, dass ihr Entführer den Golf vermutlich absichtlich genau am anderen Ende von Düsseldorf versteckt hatte, um von der wirklichen Lage des Verstecks abzulenken. Wäre ihm nicht die Panne mit den Handschuhen passiert, wäre niemand auch nur im Traum auf die Idee gekommen, hier in der Gegend nach Katrin zu suchen.
Die Polizei hatte in den Straßen um den Fundort der Handschuhe herum die Anwohner befragt, nach leer stehenden Häusern und Schuppen gesucht und Zettel aufgehängt, auf denen sie die Bürger um Mithilfe bat. Bei Radio Neandertal, dem lokalen Radiosender, hatte einer der leitenden Ermittlungsbeamten ein Interview gegeben und alle Einzelheiten des Falles geschildert, die von Bedeutung sein könnten. Eine Reihe von Hinweisen war daraufhin eingegangen. So hatten viele Anwohner
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