Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
einfallen wollte? Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, öffnete sich gegenüber die Wohnungstür.
»Frau Sandmann?«
Katrin drehte sich um. Vor ihr stand Agathe Wiese, ihre Nachbarin. Die Zweiundsiebzigjährige war noch sehr rüstig und hatte ein ausgesprochen lebhaftes Temperament. Katrin mochte sie, doch nicht immer fühlte sie sich ihrem Redefluss gewachsen.
»Guten Morgen, Frau Wiese.«
»Sie waren aber heute schon früh unterwegs.« Agathe Wiese blinzelte verschwörerisch. »Wieder auf Mörderjagd?«
Katrin riss erstaunt den Mund auf. Sie hatte nie mit ihrer Nachbarin über die Kriminalfälle gesprochen, in die sie in letzter Zeit, manchmal zufällig, manchmal jedoch auch ganz gezielt, verwickelt gewesen war. Doch schließlich hatte das eine oder andere ja auch in der Zeitung gestanden. »Ich, also …«, stotterte sie.
Ihre Nachbarin winkte ab. »Geht mich ja nichts an. Aber wenn Sie ein paar Minuten Zeit hätten. Ich hab auch frischen Kaffee aufgebrüht.«
Katrin zögerte. Eigentlich hatte sie sich im Auto ausgemalt, dass sie sich noch einmal ins Bett legen und richtig ausschlafen würde. Doch dann gab sie sich einen Ruck. Frau Wiese war bestimmt die meiste Zeit des Tages allein. Da konnte sie ihr ruhig mal eine halbe Stunde opfern.
»Gern«, antwortete sie, »Kaffee klingt gut.«
Sie folgte Frau Wiese in die Wohnung. Der verstorbene Herr Wiese hatte als Beamter bei der Stadt gearbeitet und war in seiner Freizeit als leidenschaftlicher Jäger durch die Wälder der Nordeifel gestreift. Agathe war sehr religiös. Die Wohnung stellte beide Passionen des Ehepaars Wiese zur Schau. Neben der Garderobe in der Diele hing ein gewaltiger Dreiender, darum gruppierten sich einige kleinere Trophäen. Rechts davon prangte ein Kruzifix, um das ein Rosenkranz drapiert war. Auf dem Schuhschränkchen hielt eine Madonna aus Olivenholz ihr Neugeborenes in den Armen. Auch im Wohnzimmer dominierte die Kombination aus Religion und Jagd. An der Wand hinter der grünen Sitzgruppe hing ein kitschig-buntes Madonnenbildnis, eingerahmt von Geweihen. Auf der gegenüberliegenden Seite, oberhalb des Fernsehtischchens, schmückten einige verblichene Drucke die geblümte Tapete. Allesamt Jagdszenen. Katrin war bereits einige Male kurz in der Wohnung gewesen, und jedes Mal löste der Wandschmuck ein sanftes Schaudern in ihr aus. Und den beinahe unbezwingbaren Drang, ihre Kamera zu holen.
Zu ihrer Überraschung saß ein zweiter Gast im Wohnzimmer. Eine Frau, etwa im gleichen Alter wie Agathe, doch drahtiger. Sie trug eine Jeans, ihr fast weißes Haar war extrem kurz geschnitten, und ihre wasserblauen Augen blickten Katrin wachsam an. Agathe stellte die beiden vor. »Frau Sandmann, das ist Elfriede Thürnissen , Elli, das ist Frau Sandmann, die Detektivin, du weißt schon.«
Katrin kannte Frau Thürnissen flüchtig. Sie wohnte im Nachbarhaus und joggte jeden Morgen in aller Frühe die Düssel entlang bis zum alten Volksgarten und wieder zurück. Katrin bewunderte sie dafür, vor allem, da sie selbst sich einfach nicht dazu aufraffen konnte, regelmäßig morgens ein wenig Sport zu treiben, auch wenn sie es sich noch so fest vornahm. Verwirrt gab sie Frau Thürnissen die Hand. Mehr und mehr hatte sie das Gefühl, Teil eines Plans zu sein, den sie nicht so recht durchschaute. Agathe verschwand in der Küche.
Elfriede musterte Katrin kritisch von oben bis unten. »Bei Ihrem letzten Fall haben Sie ja ordentlich was abgekriegt, meine Liebe.«
Katrin schluckte.
»Ist Ihnen da nicht der Spaß am Detektivspielen vergangen?« Elfriede Thürnissens Blick schien sie zu durchbohren. Warum kam es ihr so vor, als werde sie einem Test unterzogen? Was hatten die beiden alten Frauen mit ihr vor? Das Ganze war vollkommen verrückt. »Ich bin keine Privatdetektivin«, korrigierte sie nun Frau Thürnissen . »Ich bin da nur zufällig in etwas reingeraten .«
»Zufällig. So, so.«
Agathe Wiese kam mit einem Tablett herein und stellte Tassen, Untertassen, eine Kaffeekanne und einen Teller mit diversen Teilchen auf dem Tisch ab. Katrin merkte, wie hungrig sie war. Agathe goss Kaffee ein. »Hast du Frau Sandmann schon von dem Fall erzählt, Elli?«
»Nein«, antwortete Elfriede, »ich hatte ja noch keine Gelegenheit.« Sie schüttete Milch in ihren Kaffee und rührte energisch in ihrer Tasse herum. »Für mich keinen Kuchen«, sagte sie, als Agathe ihr eine Nussecke auf den Teller legen wollte.
»Aber Sie sehen ganz ausgehungert aus, Frau
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