KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
lassen. Ich entschied mich für die dritte Variante: Das Tablett in die Küche tragen und frühstücksmäßig noch mal einen neuen Anlauf nehmen. Vorher stellte ich mich unter die Dusche, wusch mir den Stoffwechsel der Nacht von der Haut, rasierte mich und zog mich an. Dann brühte ich mir zum zweiten Mal per Hand einen Kaffee, schmierte mir ein neues Schinkenbrot und machte es mir am Küchentisch bequem. Sicherheitshalber. Nur dem Ei, das im Kaffee beinah ertrunken wäre, gab ich noch eine zweite Chance.
Keine Zeitung heute, das war schade. Aber dafür hatte ich ja noch Sonias Manuskript. Ein netter Krimi als Frühstückslektüre. War ja auch nicht schlecht. Also stand ich noch mal auf und holte mir die ausgedruckten Seiten vom Tisch im Wohnzimmer.
Auf dem Deckblatt stand in Sonias gleichmäßiger und für eine Frau wie sie erstaunlich männlicher Handschrift: »Das Romeo-Komplott«. Hörte sich doch schon mal vielversprechend an, fand ich, schüttete mir noch eine Tasse Kaffee ein und begann zu lesen:
»Als Annegret Bahmann an diesem neblig-trüben Mittwoch im Oktober aufwachte, und zwar wie immer exakt um 6:45 Uhr, war der Tod schon auf dem Weg zu ihr. Und er würde nicht einmal eine Stunde brauchen, um sie aufzuspüren. Es gab genau drei Menschen, die das wussten: die beiden Männer, die sie schon bald töten würden, und der andere, der sie dazu beauftragt hatte. Annegret Bahmann aber wusste davon nichts. Für sie begann der letzte Tag, wie alle Tage stets begonnen hatten, seit vielen Jahren schon – als gleichmäßige Abfolge kleiner Rituale, die ihr eine beruhigende Sicherheit gaben.
Sie beendete das Quäken des Radioweckers mit einem energischen Tastendruck, reckte sich ausgiebig, stand auf und ging ins Bad. Sie liebte diese 25 Minuten in dampfiger Geborgenheit. Minuten, in denen sie nur sich selbst gehörte, die schönste Zeit des Tages.
Sie duschte, wickelte das Handtuch wie einen Turban um die nassen Haare und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Mit ihrer gut geformten Nase, den runden vollen Lippen und den dunklen Augen gefiel sie sich nach wie vor. Und dass die Fältchen um die Augen nicht allein vom Lachen kamen, blieb ihr Geheimnis.
Sie drehte sich um und betrachtete prüfend ihren Po. Der war vielleicht nicht mehr ganz so straff und rund wie früher. Aber trotzdem immer noch knackig und nach wie vor ein Magnet für Männerblicke.
Sie setzte sich zum Eincremen auf den kleinen, weißen Kunststoffhocker. Auf den Oberschenkeln hinterließ der Druck ihrer Hände kleine Dellen, die nicht mehr ganz so schnell verschwanden wie noch vor ein paar Jahren. Aber, und das erfüllte sie mit Genugtuung, sie verschwanden eben. Sie mochte auch ihren leicht gewölbten Bauch und ihre Brüste – mittelgroß und fest, mit Warzen von leuchtend sattem Rot reifer Feigen. Eigentlich, fand sie, war sie für ihre fünfundvierzig Jahre noch ganz schön attraktiv.
Genau um zehn nach sieben kam sie aus dem Bad und zog sich an: Unterwäsche, ein bisschen sexy, aber nicht zu gewagt, hautfarbene Strumpfhose, marineblauer Rock und eine hellblau gestreifte Bluse. Klassisch, wie sie fand, ein wenig langweilig, wie andere meinten. Dann ging sie in die Küche.
Als sie sich zum Frühstücken an den runden Eichentisch setzte, hatte sie noch eine knappe halbe Stunde zu leben.
Wie immer aß sie Haferbrei. Sehr dünn und ohne Zucker, dazu einen Becher Nescafé mit viel Milch. Nach dem Frühstück spülte sie das Geschirr, trocknete es sorgfältig ab und stellte es zurück in den Küchenschrank. Sie spülte immer direkt nach jedem Essen, weil sie schmutziges Geschirr nicht ertragen konnte. So wie sie überhaupt alles hasste, was nicht sauber war. Dann zog sie ihren Mantel über, löschte das Licht und machte sich auf den Weg zur Haltestelle. Die letzte Viertelstunde ihres Lebens hatte begonnen.
Unterwegs sah sie auf die Uhr: Noch fünf Minuten bis zur Haltestelle und noch sieben bis zur Ankunft des Busses, der sie, wie jeden Tag, zur Arbeit bringen sollte.
Niemand nahm Notiz davon, am allerwenigsten Annegret Bahmann, als einer dieser hochbeinigen Geländewagen – mit abgedunkelten Scheiben und von schwarzer, dunkelblauer, weinroter Farbe, wie drei verschiedene Zeugen später beschworen – in die Straße bog, plötzlich mit heulendem Motor beschleunigte, auf Annegret Bahmann zuraste und sie Augenblicke später an eine Hauswand warf, beim Aufprall ihre Knochen, Sehnen, Muskeln von der Hüfte abwärts zu einer klumpigen Masse
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