KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Vaters.
»Nein, will ich nicht. Im Gegenteil, ich will dir das hier zurückgeben.« Ich zog den Briefumschlag mit den zweihundert Euro aus der Jackentasche und hielt in ihr entgegen. »Du weißt schon, dass es Leute gibt, die von so einem Betrag einen halben Monat lang leben müssen, oder?«
Vanessa nahm den Umschlag und warf ihn neben sich auf den Schreibtisch.
»Kann schon sein. Ich muss von dem Geld einen ganzen Monat lang leben.«
Wäre sie erwachsen gewesen, hätte ich ihr jetzt gerne eine geknallt. War sie aber nicht, jedenfalls noch nicht ganz. Und außerdem konnte sie selbst wahrscheinlich am wenigsten dafür, wenn sie so blöde daher redete, weil sie weder zu Hause noch in der Schule lernte, wie gut es ihr und wie schlecht es vielen anderen ging. Trotzdem ärgerte mich ihre Antwort. Musste ich zugeben.
»Scheint dir ja wieder deutlich besser zu gehen als in der Ballett-Stunde«, sagte ich kühl.
»Unpässlichkeiten. Hat man als Frau eben schon mal. Zum Glück hat mein Vater heute seinen freien Nachmittag und konnte mich nach Hause bringen.«
»Wie schön für dich.«
Es breitete sich eine unangenehme Stille aus. Erstaunlich, wie sehr einem ein Mädchen ihres Alters doch schon einheizen konnte – vor allem, wenn es so ein zickiges und intelligentes Gör war! Aber was sollte es, hatte schließlich keinen Zweck, wenn wir hier beide vor uns hin schmollten.
»Mein Angebot, mich wegen Gottfried mal umzuhören, steht nach wie vor. Aber ich glaube einfach nicht, dass irgendjemand deinen Hund entführt hat! Hunde verschwinden halt schon mal. Wahrscheinlich ist Gottfried ganz einfach abgehauen, um einen ausgiebigen Zug durch die Gemeinde zu machen, was weiß ich! Auch ein Hund hat schließlich von Zeit zu Zeit so seine Bedürfnisse.«
»Aber nicht Gottfried! Der würde mich niemals im Stich lassen. Nicht freiwillig. Seit meine Mutter nicht mehr hier ist, meine richtige Mutter, ist Gottfried der einzige Freund, den ich habe.«
»Und was ist mit deinem Vater? Ich hatte eigentlich vorhin den Eindruck, dass ihr ganz gut miteinander auskommt.«
»Stimmt schon. Früher haben wir auch viel mehr Zeit miteinander verbracht. Sind mal in die Stadt gefahren oder haben am Isarufer gegrillt. Irgendwas unternommen halt. Aber jetzt hat er nur noch Zeit für seinen blöden Beruf. Und für meine doofe Stiefmutter.«
Sie funkelte mich zugleich ratlos, traurig und zornig an. Das gab ihrem Gesicht etwas Berührendes. Und ich begann endlich zu begreifen: Es ging nicht nur um einen Hund, es ging um Verlust, um Einsamkeit, vielleicht sogar um so etwas wie Verzweiflung. Bisschen eher die Augen und die Ohren richtig aufgesperrt, du Heini, und du hättest das schon viel früher kapiert, sagte ich zu mir selbst. Und zu Vanessa: »Also gut, dann erzähl’ mir mal von deinem Gottfried und gib mir ein paar Hinweise, wie ich ihn identifizieren kann.«
Sie setzte sich auf den Fußboden und verknotete dabei mit spielerischer Leichtigkeit ihre Beine zu einer liegenden Acht. Ich nahm so lässig wie möglich ihr gegenüber Platz und ließ meine Beine unverknotet, weil ich mir nichts brechen wollte.
»Ich hab Gottfried vor ungefähr zwei Jahren von meinem Vater geschenkt bekommen ...«
»... und warum ausgerechnet einen Dobermann? Ich meine, das sind ja nicht gerade Schoßhündchen für junge Mädchen, oder? ...«
»... eigentlich sollte Gottfried ja auch ein Wachhund werden. So richtig mit Hundehütte hinten im Garten und so. Aber das hat nicht funktioniert, weil er irgendwie nicht so gut hört und vor den allermeisten Sachen ein bisschen viel Schiss hat. Eines Tages habe ich beobachtet, wie er im Garten saß und ihn so ’n kleines freches Eichhörnchen in Schach gehalten hat. Gottfried saß mit feuchten Augen vor diesem winzigen Tier und wusste sich nicht zu helfen. In diesem Augenblick hatte ich ihn total lieb! Ich meine, Gottfried ist ja so sensibel.«
Heiliger Hundefurz – sensibel! So konnte man das natürlich auch sehen. In meinen Augen schien er eher ein vierfüßiger Knallkopf zu sein, ein Angsthase, gefangen im Körper eines Dobermanns.
»Nehmen wir mal an, ich finde deinen Gottfried: Wie erkenne ich ihn dann? Abgesehen davon natürlich, dass er ein Dobermann ist. Wie die aussehen, weiß ich.«
»Also, Gottfried ist eigentlich kein reinrassiger Dobermann. Eher eine Mischung aus Dobermann und Schäferhund. Aber total süüüüß! ...«
Ich versuchte, mir eine Mischung aus Dobermann und Schäferhund vorzustellen, gab
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