KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Chromstange oben drauf erwartete mich die Freundlichkeit selbst. Sie war vielleicht Ende 20, hatte schokoladenbraune Knopfaugen, und zwar leicht mandelförmig, schulterlanges Haar – ebenfalls in Schoko, aber mit etwas mehr Milch und weniger Kakao – und trug ein sandfarbenes Kostüm, das die Blicke des Betrachters trichterförmig auf ihre Beine lenkte. Und die waren für meine Begriffe etwas zu stämmig, was sie durch ihre Länge nicht vollends ausgleichen konnten, während die Waden wiederum etwas zu dünn waren. Natürlich Geschmacksache und eigentlich auch total wurscht, weil ich ja nicht mit diesen Beinen verabredet war, sondern mit Hans-Jürgen Lappé. Und wer wusste schon, wie dessen Beine aussahen?
Der absolute Höhepunkt aber war ihre Stimme – Honigmelone mit einem Hauch Zimt und einem Häubchen aus zart schmelzendem Himbeersorbet. Schon nach der üblichen Eingangsfrage »was sie denn für mich tun könne« waren meine Ohren hoffnungslos verklebt.
Als ich meinen Namen nannte, nickte sie wissend, und tröpfelte ein gehauchtes »Wenn Sie mir bitte folgen wollen!« in meine belegten Gehörgänge. Ich folgte ihr wie ein hypnotisierter Pudel durch lange, hohe, helle Flure, schaute interessiert abwechselnd nach oben auf den prächtigen Stuck, nach links und rechts auf nummerierte weiße Türen mit silbernen Klinken und – natürlich in erster Linie, um den Anschluss nicht zu verlieren – vorwärts, halb nach unten.
Im Büro von Dr. Hans-Jürgen Lappé kam ich schließlich wieder zu mir. Rehbraunes Eichenholzparkett auf dem Boden, an den Wänden Pop-Art von Warhol, Lichtenstein und Rauschenberg. Vielleicht war sogar etwas Echtes dabei, konnte ich aber mangels Ahnung nicht beurteilen. Links vom Eingang stand ein riesiger Schreibtisch, in der Mitte des Raums, und zwar direkt vor der Fensterfront mit Blick auf den See, ein Besprechungstisch mit zehn Stühlen und rechts davon, mit ausreichendem Abstand für hinreichende Intimität, die obligatorische Sitzecke: dreisitziges Ledersofa mit ulkig hoher Lehne, zwei dazu passende Ledersessel, dazwischen ein Glastisch, auf dem sich ein prächtiger Humidor rekelte. Ich pfiff innerlich durch die Zähne und fühlte mich schon fast heimisch.
Hinter dem Schreibtisch saß Jüjü, auf der Schreibtischplatte verteilten sich die üblichen Büro-Utensilien, und zwar mit jener dekorativen Zufälligkeit, wie man sie nur durch sorgfältiges Arrangement hinbekommt. Schräg links hinter dem Computer mit dem fruchtigen Namen lag ein hastig aufgerissener Briefumschlag. Und der lag da gar nicht dekorativ zufällig, sondern irgendwie echt zufällig.
Lappé erhob sich und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. In seinem perfekt sitzenden Arztkittel – wahrscheinlich, wie alles hier, auf Maß – sah er aus wie ein erfolgreicher Schönheitschirurg. Na ja, war er ja auch.
»Schön, dass Sie das mit dem Termin so schnell einrichten konnten!«, sagte er zu mir. Und zum Empfangstraum: »Bitte keinerlei Störungen während der nächsten 60 Minuten!«
Honigmelönchen entschwand. Schade.
»Sehr beeindruckend. Ihr Sanatorium, meine ich.«
Etwas Besseres fiel mir zur Einleitung nicht ein.
»Mein Lebenswerk. Aber manchmal denke ich fast, dass in diesem Unternehmen ein bisschen zu viel von meinem Leben steckt, das jetzt vielleicht anderswo fehlt.«
Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich ihn nicht völlig verstanden hatte, sondern nur ungefähr.
Er deutete auf die Sitzecke.
»Kommen Sie, Herr Katz, machen wir es uns doch bequem.«
Ich steuerte auf das Sofa zu und setzte mich. Das Leder war weich wie ein Babypopo. Hans-Jürgen Lappé nahm gegenüber auf einem der Sessel Platz.
»Also, was diesen Fleck unter Ihrem Auge angeht ...«, begann er vorsichtig.
»... ein stinknormales Muttermal, mehr nicht. Und bestimmt nicht der Grund für unsere Unterhaltung ...«, unterbrach ich ihn.
»Woher wissen Sie ...«
»Sagen wir einfach: Intuition.«
Er zog überrascht die rechte Augenbraue hoch.
»Kann es sein, dass Sie manchmal ein wenig unterschätzt werden, Herr Katz?«
»Alles in allem halb so wild.«
Eine gute Antwort, lobte ich mich selbst. Nicht gelogen, lässig und von eleganter Vieldeutigkeit. Wenn ich dabei nicht ziemlich eindeutig zum Humidor herübergeschielt hätte, wäre alles noch eleganter gewesen.
Dann kam endlich die erlösende Frage: »Bevor wir zur Sache kommen: Darf ich Ihnen etwas anbieten? Ein Schlückchen Whiskey vielleicht oder eine Zigarre?«
Dieser Vorschlag
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