KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Legende mit Namen »Wahrheit« sein soll, dann möchte ich dich aber nie beim Flunkern erleben, mein Lieber!
Na ja, dachte ich zurück, man muss eben auch improvisieren können. Und außerdem war es mir ein boshaftes Vergnügen, den Laden mal ein bisschen aufzumischen.
»Wie dem auch sei«, fuhr ich fort, »wir sind jedenfalls heute hier, um die Verhältnisse vor Ort in Augenschein zu nehmen.« Und weiter, halblaut an Sonia gewandt, weil ich wusste, alle würden mich jetzt auch flüsternd verstehen: »Könnte mir vorstellen, dass sich hier bald einiges ändern wird, was meinen Sie, Frau Kollegin?«
Sonia nickte und schenkte dabei dem versammelten Lehrkörper ein Lächeln von liebenswürdigster Grausamkeit.
»Also, das ist ja toll«, sagte ein Glatzkopf mit gelber Hautfarbe, die durch seine knallbunte Fliege erst so richtig schön zur Geltung kam. Musiklehrer, wahrscheinlich. »Ich habe die Annerose schon immer sehr geschätzt. Blendende Pädagogin und auch als Mensch wirklich eine ... ich möchte mal sagen ... kleine Symphonie!«
Aha, er war der Musiklehrer! Und traf bestimmt selten auf so einstimmige Zustimmung wie in diesem Moment. Das ist bei Musiklehrern immer so.
»Dann sagen sie mir doch bitte, wo ich mir diese kleine Symphonie mal anhören könnte, ha, ha!«, witzelte ich aufs Schlagfertigste.
Alle lächelten, die meisten gequält.
»Sie finden die Turnhalle gleich rechts hinter diesem Hauptgebäude. Gar nicht zu verfehlen, aber ich bringe Sie auch gerne eben hin, wenn Sie möchten«, sagte Rotbart eilfertig.
Ich schaute ihm stumm und nachdenklich und mit der kopfschüttelnden Milde des geübten Pädagogen in die Augen. Fünf Sekunden lang ungefähr, das reichte, um ihn nervös zu machen.
»Sehr nett von ihnen, aber das wird nicht nötig sein«, sagte ich schließlich, nicht ohne dabei mit Sonia noch einen bedeutungsschwangeren Blick zu wechseln.
Als wir das Lehrerzimmer verließen, registrierte ich aus den Augenwinkeln, dass sich jetzt alle erhoben hatten. Standing Ovation quasi, aber ohne Ovation. Und das amüsierte mich irgendwie. Musste ich zugeben.
Die Turnhalle war ein Erlebnis. Weniger baulich als vielmehr olfaktorisch. Der Umkleideraum roch wie ein Hundekörbchen, in das die niedlichen Welpen vor lauter Aufregung über die bunte Welt Pipi gemacht hatten. Die Halle selbst durchwaberte eine Dunstwolke aus Staub, Bohnerwachs, Desinfektionsmitteln und von Generationen eifriger Schweißdrüsen getränkten Turnmatten. Ich ging jede Wette ein: Sollte irgendwann einmal auf dem Mond eine Turnhalle gebaut werden – sie würde genau so riechen!
Sonia lief in ihrem frischen Sommerkleidchen ungerührt neben mir her. Lag vielleicht an den weiblichen Hormonen, dass ihr der Geruch nichts ausmachte. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur ziemlich gut im Griff. Jedenfalls besser als ich, denn mein Magen hörte nicht auf zu rebellieren. Am liebsten hätte ich irgendwo in die Ecke gekotzt.
In einer Ecke der Halle stand die Schulklasse versammelt zu einer Traube, in deren Mitte, also da, wo jetzt eigentlich Kollege Wollinsky hätte stehen sollen, Annerose Brandner aufgeregt mit den Armen fuchtelte. Ich erkannte erst auf den zweiten Blick, warum: Über ihnen allen, hoch oben an einem Kletterseil, hing ein dicklicher Junge von zirka elf Jahren wie ein verwaistes Räucherwürstchen. Wie er da hochgekommen war, wusste er wahrscheinlich selber nicht mehr. Aber das schien im Moment auch nicht sein Hauptproblem zu sein. Das bestand vielmehr darin, dass er nicht wusste, wie er wieder herunterkommen sollte! Und – man musste es leider ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen – das hektische Gefuchtel und die zusammenhanglosen Ratschläge seiner Lehrerin waren ihm dabei wenig hilfreich.
In Ordnung, ich hatte heute mein neues Weltenretterhemd an. Warum also nicht eben schnell mal ein kleines, hoffnungsvolles Menschenleben retten!
Ich ging auf die Kinder zu und rief ziemlich energisch: »Ruhe, verdammt noch mal!«, worauf alle schlagartig verstummten, einschließlich Annerose, die Hilflose. Es wirkte also, wie eigentlich immer: Wer am lautesten »Ruhe!« brüllt, dem wird gehorcht. Nur von ganz weit oben klang ein klägliches Piepsen zu uns herunter. Wenn jetzt nicht bald etwas passierte, dann würde dieses dicke Vögelchen unweigerlich aus dem Nest fallen.
»Kannst du noch ein bisschen aushalten mein Junge?«, fragte ich nach oben.
»Ja-ha-ha«, schniefte er.
»Okay! Ihr holt jetzt ganz schnell die dickste und
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