KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
weichste Matte, die es hier gibt, und legt sie genau unter das Seil. Aber Beeilung, Beeilung, meine Herrschaften!«
Die Jungen und Mädchen stoben davon, als wartete irgendwo ein Fass Gummibärchen auf sie, und hatten, kaum eine halbe Minute später, schnaufend und japsend die Matte herbeigeschleppt.
»Spitze!«, sagte ich, setzte mich auf den Mattenrand und zog meine Schuhe aus. War eigentlich dummes Zeug, machte aber den Eindruck, als verfolgte ich einen Plan. Und das schien mir im Moment irgendwie angebracht. Was aber als Nächstes tun? Ich konnte den Jungen nicht einfach herunterplumpsen lassen, trotz Matte nicht, das war klar. Es half nichts: Ich musste zu ihm hoch klettern und ihn wie ein pummeliges Blümchen herunterpflücken. Also rauf auf die Matte, ran ans Seil, noch mal kräftig in die Hände gespuckt und ab die Post. Wie lange hatte ich so was schon nicht mehr gemacht? Mindestens eine bis anderthalb Millionen Jahre, und das spürte ich jetzt. War wirklich eine richtige Erholungskur für meine Hüfte. Stückchen für Stückchen arbeitete ich mich nach oben, dem Wimmern, Schluchzen und Zähneklappern entgegen. Wäre ganz nützlich, dachte ich, wenn mir auf dem weiteren Weg etwas Praktisches einfiele.
»Schön festhalten, mein Junge, bin gleich bei dir!«
»In O-hord-nung.«
Als ich fast bei ihm angelangt war, hatte ich auch endlich eine Vorstellung davon, wie wir beide wieder heil herunterkommen konnten.
»Ich bin jetzt ganz dicht unter dir. Streck die Beine ein bisschen aus, und stell’ sie auf meine Schulter. Schaffst du das?«
»Ja-ha-ha, gla-ha-haub scho-hon.«
»Wunderbar. Und jetzt lässt du dich ganz langsam ein Stückchen herunter, bis du auf meinen Schultern sitzt, verstanden?«
»Okä-hä-häy.«
Zentimeter für Zentimeter glitten seine Beine links und rechts an mir herunter, bis er – endlich! – mit seinem kleinen, dicken Hintern auf meinen Schultern saß.
»So, und jetzt hältst du dich einfach am Seil fest und lässt mich den Rest machen, in Ordnung?«
»Ja-ha-ha.«
Nach gefühlten drei Stunden kamen wir endlich unten an. Auf der Matte ging ich in die Knie und ließ meinen jammernden Reiter absteigen. Um mich herum klatschende Kinderpfötchen, Sonia blitzte mich stolz an. Heiliger Super-Arno – was war ich doch für ein Held heute! Wenn auch ein etwas lädierter: Meine Hände fühlten sich an wie sandgestrahlt, meine Hüfte knackte fröhlich vor sich hin, durch meinen Magen brandeten Laola-Wellen, aber ansonsten ging es mir eigentlich ganz gut.
»Da-ha-han-ke!«
»Schon in Ordnung. Wie heißt du eigentlich, du kleiner Kletterkünstler?«
»Sie-hieg-be-hert.«
Siegbert! Man sollte manchen Eltern glattweg verbieten, die Namen für ihre Kinder selbst auszusuchen. Allerdings hätte man, ehrlich gesagt, damit bei meinen schon anfangen sollen.
»Also, Siegbert, wenn ich dir mal einen Tipp geben darf, so von Mann zu Mann: Manchmal hilft es im Leben ungemein, wenn man, bevor man mit etwas anfängt, darüber nachdenkt, ob man es auch vernünftig zu Ende bringen kann. Sonst hängt man mittendrin ganz schnell ganz blöde in der Luft.«
Der kleine, dicke Siegbert nickte mit seinem verrotzten Gesicht dermaßen respektvoll, dass ich es schon wieder bereute, ihm so einen Besserwisser-Scheiß erzählt zu haben. Hätte einfach sagen sollen: »Mach’ dir nichts draus, Siegbertchen, ist uns allen schon passiert. Wenn uns mal nicht der Kopf im Weg ist, dann ist es meistens der Hintern.«
»Ich glaube, ich muss mich auch bei Ihnen bedanken. Das war buchstäblich Rettung in letzter Minute!« klang eine angenehm sanfte Stimme von der Seite in mein Ohr – Annerose Brandner. Ich kam erst jetzt dazu, sie mir genauer anzuschauen. Weiche, gutmütig-melancholische Augen, hellbraun mit dunkleren Sprenkeln drin. Von zierlicher Statur und bestimmt nicht größer als einen Meter fünfundfünfzig stand sie in ihrem himmelblauen, altmodischen Trainingsanzug da und streckte mir feierlich die rechte Hand entgegen. Zwischen den Kindern wirkte sie selber wie eine Schülerin, die ein paar Mal zu oft sitzen geblieben war. Am auffälligsten aber waren ihre Haare – praktische Kurzhaar-Frisur, im Nacken ausrasiert, leuchtend rot. Gefärbt natürlich, denn sie war genau in dem Alter, in dem Frauen sich gerne die Haare färben, und zwar besonders gerne rot. Das gleiche Alter, in dem auch Männer sich die Haare färben, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Wenn Männer grau werden, färben sie sich die
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