KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
geraten. Wie auch immer, der gute Gottfried musste jedenfalls noch warten.
17
Als wir auf dem Parkplatz des Gymnasiums in den Wagen stiegen, war es zehn nach zwölf. Hinter dem Scheibenwischer klemmte ein Zettel. Es war eine Botschaft vom Hausmeister: Der Parkplatz sei für den Lehrkörper reserviert und Fremden folglich das Abstellen von Kraftfahrzeugen strikt untersagt. Er wolle für dieses Mal noch ein Auge zudrücken, müsse aber im Wiederholungsfall entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten, teilte er in kleinen, spitzen, nach rechts geneigten Druckbuchstaben mit.
Ich knüllte den Wisch zusammen und warf ihn hinter mich auf einen der leeren Plätze des Lehrkörper-Parkplatzes. Zumindest dabei war ich mir keinerlei Schuld bewusst, denn schließlich parkte ich das Knüllpapier ja nicht, und von formlosem Ablegen dämlicher Schriftstücke war nirgendwo die Rede gewesen.
»So gehen Sie also mit halbamtlichen Mitteilungen um?«, fragte Sonia, während ihre Augen amüsiert der ballistischen Bahn des Papiers folgten.
»Meistens. Vollamtliche zünde ich übrigens vorher immer noch an. Das heißt, wenn ich sie nicht zum Frühstück verspeise.«
»Mein Thema! Gehen wir eine Kleinigkeit essen? Ich habe nämlich schon wieder Hunger. Wahrscheinlich von dieser gesunden, oberbayrischen Voralpenluft.«
»Beneidenswert! Mein Magen will einfach nicht aufhören, den Rest meines Körpers übel anzupöbeln.«
»Mooooment!«, rief Sonia und kramte in ihrer kleinen Handtasche herum, die die Form einer Botanisiertrommel für besonders zierliche Zwerge hatte.
Im Seitenblick sah ich mit Erstaunen, was sie aus diesem Dingelchen alles zutage förderte. Ein Phänomen, das ich nie begreifen würde, nicht bis ans Ende meiner Tage: Frauen konnten ihren gesamten Hausstand in einer Handtasche mit sich herumtragen, selbst wenn diese Tasche nur ein Täschchen war. Das erinnerte mich jedes Mal an ein Zauberkunststück, dass ich schon immer gemocht hatte, nämlich an die Nummer mit dem Zylinderhut, der in Wirklichkeit eine Wohnanlage für Kaninchen war.
Schließlich hielt Sonia triumphierend ein Fläschchen in die Höhe. Den Magenbitter von heute Morgen, hatte ich schon ganz vergessen.
»Wenn Sie das getrunken haben, wird es ihnen gleich besser gehen.«
»Ist gar nicht nötig. Geht mir plötzlich schon wieder ganz gut, glaube ich.«
Sonia schüttelte heftig den Kopf.
»Nichts da! Das war kein unverbindlicher Vorschlag, sondern ein Befehl: Entweder Sie trinken den Magenbitter jetzt freiwillig oder ...«
»Oder?«
»... oder ich werde Ihnen die Medizin mit Gewalt einflößen. Wenn es sein muss, auch mit einem Trichter!«
Zwei Gedanken schossen mir durch den Kopf: Erstens, dass ich nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass Sonia in ihrem Handtäschchen zur Not auch noch einen Trichter finden würde, und zweitens, dass sie mich gerade, ganz unbewusst, mit der Nase auf eine Lösung stieß, an der ich schon die ganze Zeit erfolglos herumgeknobelt hatte. Dankbar nahm ich ihr das Fläschchen aus der Hand, leerte es in einem Zug und gab es ihr zurück. Sie schraubte es verdutzt zu und steckte es wieder in ihre Handtasche.
»Woher dieser plötzliche Sinneswandel?«
»Weil Sie mir gerade ganz enorm geholfen haben! Dafür lade ich Sie jetzt auch zum Essen ein. Was soll’s denn sein: chinesisch, koreanisch, indisch, griechisch, bayerisch?«
»Italienisch. Und wobei habe ich Ihnen gerade geholfen?«
»Das erzähle ich Ihnen alles ganz genau beim Essen. Und eines kann ich versprechen: Es wird eine Mischung aus bösem Märchen, Tragödie und Gruselgeschichte!«
Sonia hatte anscheinend ein untrügliches Gespür beim Aufstöbern von Essgelegenheiten. Das musste man ihr wirklich lassen. Zwischen Fast-Food-Ketten, Coffeeshop-Ketten, Billigklamotten-Ketten, Handy-Shop-Ketten und bankrotten Kaufhausketten steuerte sie zielstrebig ein italienisches Restaurant mit dem vielversprechenden Namen »Vesuvio« an. Hier ging es dermaßen italienisch zu, dass mir fast die Tränen kamen. Hinter einer Glasscheibe ließ ein Koch mit weißer Ballonmütze runde Teigscheiben durch die Lüfte rotieren, drei Kellner scharwenzelten um die Gäste herum, um die weiblichen südländisch glutäugig, gelangweilt arrogant um die männlichen, und die wiederum gaben sich kennerhaft dem Reiz des Fremden hin, das immerhin schon fremd genug, aber auch nicht allzu fremd war. Inszeniert wurde das Stück »Bella Italia für Anfänger und Daheimgebliebene«. Fehlte nur
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