KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
sich nicht wehren, sie schämt sich. Jedes Mal. So geht das eine ganze Weile, in der niemand etwas bemerkt oder bemerken will. Aber irgendwann gibt es einen Unterschied: Sie hat mittlerweile ihre Regel bekommen und – wird schwanger! Eine Abtreibung kommt nicht infrage, nicht für Agnes Bunzenbichler, und deshalb verschwindet Maria jetzt für die Monate der Schwangerschaft von der Bildfläche. Lebt zu Hause wie eine Gefangene, und das ist viel leichter arrangiert, als man glauben sollte. Denn der Hof liegt einsam und abgelegen, ist praktisch autark und mit dem alten Bunzenbichler, über den im Dorf hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird, will sich sowieso keiner anlegen. Aus Angst vor seinem Jähzorn und weil keiner Unannehmlichkeiten will. Sollen doch die anderen sich die Finger verbrennen! So funktioniert das immer, deshalb tut am Ende keiner etwas. Die minderjährige Maria bekommt also tatsächlich das Kind, und zwar ein behindertes Kind. Und Sie fasst einen folgenschweren Entschluss.«
Sonia starrte mich mittlerweile mit großen Augen an, Messer und Gabel in den regungslosen Händen.
»Essen wird kalt«, sagte ich und deutete auf ihren halbvollen Teller.
»Macht nichts. Weiter! Weiter!«
»Maria will, nachdem das Kind geboren ist, keine Anzeige, keine Gerichtsverhandlung, keine Protokolle, keine Verhöre, in denen die ganze Qual und Scham festgehalten und für alle sichtbar gemacht würden. Sie will nur eins: Rache! Und danach weg aus Prutting, weg von zu Hause, ab in ein neues Leben. In ein Leben, das sie endlich für alles entschädigen soll. Und diese Rache organisiert sie geschickt, überlegt und eiskalt.«
»Der Unfall!«
»Genau! Allerdings gibt es da ein Problem: Sie kann ihren Plan nicht ohne Hilfe umsetzen. Deshalb braucht sie jemanden, der kräftig ist, der einfältig genug ist und der ihr absolut ergeben ist.«
»Etwa Toni Mooseder?«
»Exakt! Und es dauert auch nicht lange, bis beide ihren Plan in die Realität umsetzen können, denn es ist anzunehmen, dass Josef Bunzenbichler sich schon sehr bald aufs Neue an Maria heranmacht, kaum dass sie wieder auf den Beinen ist. Aber er begreift nicht, dass sich jetzt alles verändert hat: Diesmal lässt Maria ihren Vater nicht voller Angst über sie herfallen, sondern spielt mit ihm, wird zum ersten Mal aktiv, lockt ihn vielleicht sogar, bis sie ihn wie einen Fisch an der Angel hat. Das ist ganz neu, das gefällt ihm – was für ein neues, aufregendes Spiel! Er verfolgt sie, hält ihr scheinbares Entgegenkommen für ein heimliches Einverständnis und drängt sie schließlich in eine dunkle Ecke. Und jetzt kommt das Übliche, denkt er, knöpft sich die Hose auf, grapscht nach ihren Brüsten, zerrt an ihren Kleidern, will sie endlich wieder besitzen, als er plötzlich einen Schlag auf den Schädel bekommt. Denn Maria ist nicht allein. Jemand wartet schon in der Dunkelheit und – zack! – schlägt im letzten Moment zu. Josef Bunzenbichler liegt also da, bewusstlos oder doch wenigstens sehr benommen und unfähig sich zu wehren. Vielleicht ist er sogar noch so weit bei Bewusstsein, um ganz genau mitzubekommen, was jetzt passiert: wie jemand ihm die Hände fesselt, ein anderer gewaltsam seinen Mund aufzwingt und ihm einen Trichter in den Hals stößt. Wozu? Um ihm jede Menge Alkohol einzuflößen, denn er muss ja betrunken sein, so betrunken wie nur möglich. Das ist übrigens der Punkt, an dem Sie mir auf die Sprünge geholfen haben, Sonia: die Sache mit dem Magenbitter und dem gewaltsamen Einflößen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie, wo, und warum der alte Bunzenbichler sich dermaßen betrunken hatte damals. Bis Sie mich auf die entscheidende Idee gebracht haben: Er hat sich gar nicht selbst betrunken, sondern der Alkohol wurde gewaltsam in ihn hineingeschüttet! Dann wurde er, im Delirium und in eiskalter Nacht, in einem Straßengraben abgelegt. Und die Rechnung ging auf: Er erfror! Voilà, der typische Unfalltod eines Sturzbetrunkenen, so wie es halt immer wieder einmal vorkommt.«
Sonia hatte jetzt endgültig ihren Teller beiseitegeschoben.
»Das ist ja eine furchtbare Geschichte! Klingt aber total plausibel.«
»Finde ich auch. Meine Version hat allerdings zwei kleine Schönheitsfehler.«
»Und welche?«
»Erstens, dass ich sie nicht beweisen kann. Und zweitens, dass ich gar nicht weiß, ob ich sie überhaupt würde beweisen wollen, selbst wenn ich es könnte.«
»Das heißt, es bleibt für uns bei der offiziellen
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