KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Belüftung ausgerechnet auf armdicke Knüppel geschichtet. Und davon lag ausgerechnet einer lose in Tonis Griffnähe. Jetzt musste mir etwas einfallen, und zwar recht bald.
Ich bin Schlägereien immer aus dem Weg gegangen. Zum einen, weil ich ein friedliebender Mensch bin, zum anderen, weil, wenn eine Prügelei partout nicht zu verhindern war, immer ich eins auf die Schnauze bekam. Oder sonst wo hin. Denn immer übersah ich etwas: entweder einen linken Haken oder einen aufwärtigen Nierenquetscher oder ein Bein. Aber wie auch immer: Ich musste mich jetzt dem Kampf stellen. Oder mich vielleicht gleich in der laufenden Hobelmaschine verstecken. Oder weglaufen. Aber laufen konnte Mooseder bestimmt auch, und zwar schneller. Und außerdem war da noch Sonia. Nee, diese Blamage würde ich nicht überleben, dann lieber totschlagen lassen!
Das alles ging mir in den zwei oder drei Sekunden durch den Kopf, die es noch dauern würde, bis der Knüppel in Mooseders Hand auf meinen Schädel sausen und dabei einen erheblichen Dachschaden anrichten würde. Aber gleichzeitig erschien mir die Zeit wie eingefroren, wie so oft, wenn Gefahr droht. Ich hatte den Eindruck, noch bequem eine Zeitung kaufen und die Titelgeschichte sowie das Feuilleton lesen zu können. Vielleicht sogar noch etwas vom »Vermischten«, bis schließlich die Dunkelheit über mich käme. Andererseits: Auch eingefrorene Sekunden tauen irgendwann wieder auf. Ich musste mir also so langsam wirklich etwas einfallen lassen.
Plötzlich hörten Mooseder und ich von der Seite ein durchaus nicht lautes, dafür aber eindeutig verzweifeltes »Huch!«, nichts weiter als »Huch!«. Aber es war dieses ganz bestimmte »Huch!«, bei dem die Männchen sofort wissen, dass ein Weibchen dringend Hilfe braucht. Und dass es für den tapferen Helfer dann bestimmt ein Leckerli gibt. Wir schauten also beide zur Seite, ich nach rechts, Mooseder, mir gegenüber und mit erhobenem Knüppel, nach links. Und beide sahen wir im ersten Moment – nichts. Deshalb Blick nach unten: Sonia war in die Hocke gegangen und klaubte hektisch irgendetwas vom Boden auf, eine Position, die uns einen tiefen, atemberaubenden Einblick in ihr Dekolleté erlaubte, auf ihre runden, festen, taufrischen Brüste, für die man hätte sterben mögen. Dumm war nur, dass genau das – nämlich zu sterben, hier und jetzt – in diesem Moment für mich durchaus im Bereich des Möglichen lag.
Endlich schien sie erwischt zu haben, was immer ihr entglitten sein mochte, hielt dieses Etwas jetzt in der rechten Hand, blickte, nun schon sehr viel beruhigter, zu uns hoch, streckte dabei gleichzeitig den rechten Arm aus, zielte mit dem Blick reinster Unschuld auf Toni Mooseders halb fertig geschnitzten Schädel und – drückte ab. Zu hören war eigentlich nichts weiter als ein harmloses »Pffffffft«, aber die Wirkung war alles andere als harmlos: Ein feiner Nebel aus Pfefferspray legte sich ätzend auf Mooseders neugierig geöffnete Augen, die eben noch so Schönes erblickt hatten, und verschlug ihm für einen kurzen Augenblick die Sprache, exakt so lange, wie sein Gehirn brauchte, um den rasenden Schmerz zu registrieren und diese Info an die Stimmbänder weiterzuleiten. Dann schlug er die Hände vors Gesicht und brüllte wie ein frisch kastrierter Stier, bei dem man sich die Narkose erspart hatte. Dass er dabei den Knüppel vergaß, den er eben noch hoch über seinem Kopf geschwungen hatte, war mehr als verständlich. Und dass der Aufprall, mit dem dieser Knüppel nun auf seinen Schädel statt auf meinen knallte, zum allgemeinen Schmerzniveau nichts Wesentliches mehr beitrug, war mehr als wahrscheinlich.
Sonia hatte mittlerweile das Pfefferspray wieder in ihrer Handtasche des Grauens verstaut, sich gleichzeitig aus der Hocke erhoben und beendete Mooseders Gebrüll mit einem gezielten Tritt in das Zentrum aller angenehmen und, in diesem Fall, äußerst unangenehmen Gefühle. Er sackte wimmernd in sich zusammen, während Sonia mich an die Hand nahm und Richtung Auto zog.
Mit qualmenden Reifen rauschten wir von dannen, unter den entgeisterten Blicken der Sägewerksarbeiter, deren Augen hin und her wanderten zwischen uns und Toni Mooseder, der sich immer noch vor Schmerzen krümmte, während wir das Firmengelände schleunigst hinter uns ließen.
Bis zur Autobahn nach München sprachen wir kein Wort. Und das wahrscheinlich beide aus dem gleichen Grund, nämlich weil uns die rechten Worte fehlten für das Gefühlskonfetti in
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