KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
eine teure Geschichte für Jüjü, wenn auch interessanterweise in recht unterschiedlichem Maße. Anscheinend stieg und fiel der Preis eines vermurksten Körperteils mit dem sozialen Status und dem Bekanntheitsgrad seines Besitzers. Und zwar deutlich. Oder anders ausgedrückt: Ein bekanntes Gesicht war um ein Vielfaches wertvoller als ein paar unbekannte Brüste oder ein gänzlich unbekannter Arsch. Leuchtete mir irgendwie ein.
Das alles war vor nicht ganz einem Jahr passiert, und zwar im Sommer, mitten in der nachrichtenarmen Saure-Gurken-Zeit. Umso erstaunlicher, dass von all dem nichts in der Münchner Presse erschienen war, bis auf zwei, drei auffällig zurückhaltende Artikel in der Süddeutschen, ein Sturm im Wasserglas, der schon ausgeplätschert war, bevor er überhaupt hatte anplätschern können. Vielleicht hatte Jüjü ja noch viel bessere Beziehungen, als ich bisher schon vermutet hatte. Oder tief in die Tasche gegriffen? Dabei fielen mir die Fressquittungen aus der Schreibtischschublade wieder ein. Na ja, bei einem guten Essen lässt sich eben so gut wie alles friedlich besprechen. Weiß man ja.
Ich legte die verpfuschten Operationen beiseite und nahm mir das nächste Papier vor. Es war ein länglicher Umschlag, darin ein Brief, handgeschrieben mit geradlinig-gleichförmiger, schnörkelloser Schrift, die nüchtern und kontrolliert wirkte:
»Jüjü-Schatz!
Vielen, vielen Dank für das entzückende Armband, das so wunderbar zur Perlenkette passt (du sollst mir doch nicht immer so teure Geschenke machen!). Und für das aufregende Wochenende. Ich fand es übrigens ganz süß von dir, dass du mir so sehr vertraut und dich ganz geöffnet hast. In der Liebe gibt es nichts, wofür man sich schämen müsste. Gar nichts, hörst du! Außerdem hast du doch bestimmt sofort gemerkt, wie wenig mich dein Geständnis überrascht und wie sehr es mich gleichzeitig erregt hat. Weil ich nur zu gerne in die Rolle schlüpfe, die du verlangst. Also: Sei nicht zu artig die nächste Zeit! Wie könnte ich dich sonst bestrafen?
S.«
Ich steckte den Brief zurück in den Umschlag. Wie romantisch, wenn auch mit einem gehörigen Schuss »Sprung-in-der-Schüssel«! Was nicht heißen sollte, dass ich mir darauf einen Reim machen konnte. Auf jeden Fall legte ich den Inhalt dieses Briefs in einer Gehirnwindung ab, und zwar ziemlich genau in der Mitte zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis. Dann griff ich mir den dritten Umschlag. Großformat, ziemlich dick, grobes, graues Recyclingpapier. Der große Stempel »STRENG GEHEIM«, der sich auf der Vorderseite von unten links nach oben rechts in roter Farbe wichtig machte, hielt mich nicht davon ab, mir den Inhalt mal genauer anzuschauen. Ganz im Gegenteil.
Jüjü war anscheinend eine Kapazität auf diversen Gebieten, und zwar nicht nur, wenn es um körperverschönernde Renovierungsarbeiten ging. Das schloss ich aus dem regen Schriftverkehr, den er vor mehr als acht Jahren mit dem Bundeskriminalamt, dem Bundesnachrichtendienst und anderen Behörden geführt hatte, von deren Existenz ich in diesem Moment zum ersten Mal erfuhr. Musste aber nichts heißen, ich kenne nämlich so manches nicht. Die Namen klangen jedenfalls so umständlich und geheimnisvoll, dass sogleich meine Fantasie angeregt wurde. Ich sah sie im Geiste vor mir, die vielen Beamten, die morgens in silbermetallicfarbenen Mittelklassewagen in ihre Büros fuhren, so unauffällig, dass es fast schon peinlich war. Und dann den ganzen Tag in ihren kleinen Büros an den genormten Schreibtischen saßen, in deren Schubladen sich genau drei Dinge befanden: das Pausenbrot von Mutti, ein rotes Stempelkissen und der dazugehörige Stempel, mit dem man jeden Furz zum Staatsgeheimnis deklarieren konnte.
In den Schriftwechseln ging es unter anderem um »erkennungsdienstliche Prävention unter Einbeziehung kosmetisch-chirurgischer Spezialmaßnahmen«, »Identitätsstiftende, respektive identitätsverändernde und zur Beeinflussung biometrischer Erkennungsmaßnahmen geeignete Eingriffe und Operationstechniken« und so weiter, und so weiter. Ich konnte den ganzen Kram jetzt natürlich nicht vollständig durchlesen und verstand von dem, was ich las, auch nur das Nötigste, nämlich: nichts. Zumindest aus den spärlichen Abbildungen ließ sich erahnen, worum es eigentlich ging, zum Beispiel um Fingerabdrücke und andere unveränderliche Erkennungsmerkmale und anscheinend um die Frage, ob und wie diese zu manipulieren wären. Sicherheitshalber
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