KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Flecken auf ihren Handgelenken auffallen müssen, als sie den Kaffee auf dem Couchtisch abstellte. So aber blieben das flüchtige Eindrücke auf meiner Netzhaut, die nicht auf Anhieb den Weg ins Hirn fanden. Stattdessen erklärte ich ihr, was ich mir bezüglich der Briefe überlegt hatte. Und natürlich, was ich so alles in Jüjüs Tresor gefunden hatte. Nur mein akustisches Erlebnis hinter der Couch in Jüjüs Büro ließ ich aus. Zum einen, weil mir die Situation im Nachhinein nicht unbedingt vorteilhaft erschien, zum anderen, um Sonias reine Seele nicht zu gefährden. Aber irgendwie hörte sie nur mit einem halben Ohr zu, und das war so ungewöhnlich, dass mich das jetzt doch irritierte.
»Ist etwas nicht in Ordnung mit Ihnen, Sonia?«, fragte ich endlich.
Sie schüttelte nur abwesend den Kopf.
»Doch, doch. Alles Okay.«
»Aber wenn nicht alles Okay wäre, würden Sie es mir doch hoffentlich sagen, oder?«
»Wenn überhaupt jemandem, dann Ihnen, Chef!«
»Das ist gut. Sehr gut sogar, denn Sie wissen ja, Sonia: Wann immer ich Ihnen mit irgendetwas helfen kann, dann tue ich das.«
»Ja, ich weiß.«
Sie lächelte mich an und tat dann etwas, womit ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte: Sie strich mir mit ihrer Hand sanft über die linke Wange!
»Kratzt aber ganz schön!«, sagte sie dabei.
Ja, ja, dachte ich, auch Arno kann piksen. Und musste bei diesem Gedanken grinsen. Dabei gab es eigentlich nicht viel zu grinsen. Ich meine, war ja wohl ziemlich klar, dass ich im Moment einen reichlich erbarmungswürdigen Anblick bot: Zerknautscht, Zähne nicht geputzt, unrasiert, ungewaschen. Und wahrscheinlich roch ich auch nicht gerade besonders.
»Wie spät ist es eigentlich?«, fragte ich. Weniger aus echtem Interesse als zur Ablenkung.
»Kurz nach neun.«
»Meine Herren! Höchste Zeit, dass Arno sich ausgehfein macht!«
Ich nahm einen Schluck Kaffee, erhob mich ächzend und verschwand im Badezimmer nebenan. Zähne putzen, Kopf unter den Wasserhahn und dann trocken rubbeln, dass die Kopfhaut knisterte.
Beim Rasieren war ich schon wieder obenauf. Zum einen, weil ich in dieser Lappé-Geschichte wieder einen Faden hatte, den ich aufnehmen konnte. Und zum anderen, weil mir heute ein recht interessanter Tag bevorstand. Da war ich mir ziemlich sicher.
28
In der Harthauser Straße war alles wie gewohnt: Die Dame des Hauses war zwecks Zerstreuung in ihr »kleines Refugium« entflohen und Elfriede, die resolute Haushälterin, nahm mich mürrisch in Empfang. Ihre schlechte Laune hatte etwas bestechend Zuverlässiges, war eine Frage des Prinzips und nicht etwa des bösen Willens. Und benötigte schon gar keinen konkreten Grund. Das Leben als solches war Anlass genug, ein Jammertal voller Staub, dreckiger Wäsche, ungeplanter Anliegen zu ungewöhnlicher Stunde, nörgelnder Gören und aufdringlicher Detektive. Ob denn Vanessa im Hause wäre, fragte ich sie. Ihre Antwort war ebenso präzise wie prägnant und hilfreich: »Oben!« Und da sie mir anscheinend nicht zutraute, oben von unten unterscheiden zu können, verdeutlichte sie mit senkrecht erhobenem Zeigefinger, was genau sie mit »oben« meinte, nämlich: oben, genau so, wie ich es mir auch schon gedacht hatte. Aber ich wusste nicht nur, wo »oben« war, ich kannte auch den Weg dorthin.
Nach dreimaligem Klopfen an Vanessas Zimmertür, ohne einen Muckser von drinnen, trat ich ein.
Vanessa lag auf ihrem Designer-Bettchen, die Augen geschlossen, auf den Ohren überdimensionale, schnurlose Kopfhörer. Kein Wunder, dass sie mein Anklopfen nicht gehört hatte. Bei dem Geräuschpegel, den die Kopfhörer in ihre Ohren wummerten, hätte sie nicht mal gehört, wenn ich mit einem Düsenjäger durchs Zimmer geflogen wäre. Ich setzte mich auf ihren Schreibtischstuhl, beobachtete sie, überlegte, wie ich mich bemerkbar machen könnte, ohne sie dabei zu Tode zu erschrecken und machte mir dabei zunehmend Sorgen um die Mechanik in ihrem netten Kopf. Um diese vielen winzig kleinen, malträtierten Knöchelchen, Häutchen und Scharnierchen in ihren Gehörgängen, die unter dem ununterbrochen stampfenden »Bumpf! Bumpf! Bumpf!« aus dem Kopfhörer jede Sekunde zerbröseln mussten. Dazwischen enervierender Sprechgesang: »Schlampe! ... gefickt! ... Blut! ... es ja so gewollt!«
Die Lautstärke allein war nicht das Beunruhigende, soviel stand fest.
Ich nahm den ominösen Brief an Jüjü aus der Hemdentasche, faltete ihn auseinander und legte ihn vor mich auf den Schreibtisch. Dann
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