KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Beispiel.
Auf dem Weg ins Büro fuhr ich durch eine unbelebte, aufgeräumte, fast schon gespenstisch stille Stadt. Keiner unterwegs, außer mir und einer Handvoll Menschen, die auch nicht schlafen konnten oder durften. Bei der Parkplatzsuche war es mit der Idylle schnell wieder vorbei. Eigentlich auch kein Wunder, denn: Wer im Bett lag, saß nicht im Auto. Und wer nicht im Auto saß, hatte seine Blechkiste vor der Tür stehen. Und weil alle schliefen, standen auch alle Kisten vor der Tür. Und weil alle Kisten vor der Tür standen, war kein Platz mehr übrig für mein schönes Auto. Schließlich fand ich doch einen Parkplatz, nach langer, langer Suche und im Grunde nicht wesentlich entfernt von dem Ort, von dem ich vor ungefähr fünf Tagen gestartet war.
Hinter dem Schreibtisch packte mich die Tatkraft. Deshalb nahm ich mir erst mal eine nette Zigarre aus dem Humidor, um mich schon mal vorab für kommende Großtaten zu belohnen. Friedlich schmauchend, aber mit größter Aufmerksamkeit, studierte ich zuerst das zusammengeklebte Pamphlet an Dr. Hans-Jürgen Lappé. Denn ich war, auf meinem nächtlichen Weg vom Bett zum Klo zum Bett zum Klo zum Bett zum Klo, auf eine ganz interessante Idee gekommen: Maria Lappé schien in München keine Feinde zu haben, zumindest keine konkreten, greifbaren. Und auch in Rosenheim oder in Prutting hatte ich niemanden getroffen, der ihr hätte schaden wollen. Im Gegenteil, jedem hatte die kleine Maria Bunzenbichler erkennbar leidgetan. Wenn ich es mir recht überlegte – und genau das war jetzt der springende Punkt – hatte nur einer ein Motiv, ihr einen Tiefschlag zu verpassen. Oder besser gesagt, eine: Vanessa! Und je genauer ich darüber nachdachte und mir verschiedene Details in Erinnerung rief, desto besser passte alles zusammen: Vanessas termingerechte Unpässlichkeit während des Ballettunterrichts, ihr Anruf bei Sonia um zu erfahren, wo ich denn gerade wäre, mein »zufälliges« Zusammentreffen mit ihrem Vater, das sie gekonnt eingefädelt hatte und die Kontrollanrufe auf meinem Handy während meiner Erkundungstour in Rosenheim und Umgebung, um herauszufinden, ob Arno, der Schnüffler, sich endlich an eine Spur geheftet hatte. Das alles hatte mich schon früher stutzig gemacht. Aber eben nur stutzig. Und stutzig reicht nicht, schon gar nicht für einen Detektiv. Jetzt, als ich den Brief noch einmal sorgfältig las, hätte ich mir selber mit einem Bleilineal auf die Pfoten hauen können. Warum? Weil dieses überkandidelte Zusammenschnippseln, diese überzogene Dramatik Bände sprachen: So stellte sich eine Zwölfjährige – Pardon: fast Dreizehnjährige! – mit viel überschüssiger Fantasie und mit zu viel Leidensdruck einen zünftigen Erpresserbrief vor. Was mir dagegen noch nicht so ganz klar war: Woher hatte Vanessa ihre Informationen? Woher wusste sie von der Beziehung ihrer Stiefmutter zu Toni Mooseder und wie war sie dazu gekommen zu behaupten, dass Maria Lappé »Jemanden auf dem Gewissen« hätte? Und wieso kam der Brief nicht aus München, sondern aus Freilassing? Würde ich alles schon noch herausfinden, später. Jetzt wollte ich den Schub an Adrenalin und Energie, den mir meine frühmorgendlichen Erkenntnisse verpassten, noch dafür nutzen, etwas Licht in Jüjüs Tresor zu bringen, beziehungsweise natürlich in die Dokumente, die ich darin gefunden hatte.
Ich schloss meine digitale Geheimkamera an den Computer an und lud die Fotos herunter, die ich bei meinem abendlichen Besuch ins Jüjüs Sanatorium geschossen hatte. Zuerst studierte ich die Bilder vom Ehevertrag. Ich sah mir vor allem die orange markierten Passagen des Dokuments genauer an. Und eine davon war besonders brisant: Jüjüs Geld- und Sachvermögen, also die Villa in Harlaching und das Sanatorium in Starnberg, waren – anscheinend im Gegensatz zur ersten Version des Vertrags – nicht mehr vom gemeinsamen Eigentum ausgeklammert, sondern standen jetzt zur Hälfte seiner Frau zu. Vor allem im Falle des Verkaufs eine sehr interessante Modifikation zugunsten der Gattin! Aber auch ansonsten war die Versorgung von Frau und Kind im Falle einer Scheidung komfortabel geregelt: Maria Lappé hatte das Anrecht auf eine monatliche Zahlung von 5.000 Euro und behielt außerdem das Wohnrecht in der Harlachinger Bleibe, und zwar jeweils bis zu einer eventuellen Wiederheirat, längstens aber bis zur abgeschlossenen Ausbildung ihrer Stieftochter. Außerdem gab es noch zwei Risiko-Lebensversicherungen über jeweils
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