KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Zahnspange an, weil ihr die Vorstellung von Mooseders Geisterbahnfahrt mit Gottfried im Beiwagen genauso Vergnügen machte wie mir. Dann wurde sie wieder ernst. Sorgte sich, weil immer noch nicht klar war, wo ihr heiß geliebter Hund denn nun steckte.
»Was meinst du, Arno: Ob Gottfried etwas passiert ist?« fragte sie nach einer Weile mit sorgenzerfurchter Stirn.
Ich zuckte die Schultern und versuchte, dabei nicht allzu ratlos zu wirken, was gar nicht so einfach war.
»Glaube ich nicht. Gottfried scheint zwar eine kleine Doofnuss zu sein, aber er weiß sich andererseits auch zu wehren, wie man so hört. Könnte mir denken, dass er jemandem zugelaufen ist.«
»Und warum hat sich derjenige dann nicht schon längst gemeldet?«
»Wie sollte er oder sie? Du hast anscheinend vergessen, dass Gottfrieds unfreiwilliger Chauffeur seinen Fahrgast aus dem Beiwagen zerren wollte und ihm dabei das schöne Halsband über die Ohren gezogen und später weggeworfen hat. Kann also keiner wissen, woher der Hund kommt und wohin er gehört. Außer natürlich, Gottfried erzählt’s ihm.«
»Ach, stimmt ja!«, sagte Vanessa zerknirscht. »Und was machen wir jetzt?«
»Ich würde vorschlagen, du machst einen Aushang in der Gegend, in der Gottfried verschwunden ist, also im Harlachinger Klinikum und Umgebung. Ist in diesem Fall vielleicht Erfolg versprechender als eine Annonce in der Zeitung. Aber es wäre auf jeden Fall nicht ungeschickt, das noch mal mit einer zünftigen Belohnung zu verknüpfen. Belohnungen bringen das Gedächtnis der Leute fast immer sprunghaft auf Vordermann, ist eine alte Erfahrung. Und ich nehme doch stark an, dass dein Vater dafür etwas springen lässt, oder?«
»Das ist gar nicht nötig. Geld ist nicht das Problem, weißt du?«
Geld ist nicht das Problem! Hör’ sich einer diese kleine Rotzgöre an, dachte ich. So ungefähr neun Zehntel der Weltbevölkerung hatten da eine reichlich gegenteilige Erfahrung. Für die war Geld nämlich genau das: ein ganz schönes Problem! Andererseits: Wahrscheinlich war Geld tatsächlich so ziemlich das kleinste Problem, das Vanessa momentan hatte. Und vielleicht hätte sie dieses Geld gerne gegen so manches getauscht, was sie nicht hatte. Was aber verteufelterweise nicht machbar war, weil es das, was sie brauchte, für Geld nicht gab. Dieser Gedanke machte mich ein bisschen betroffen und ein ganzes Stück versöhnlicher.
»Versuchs mit dem Aushang. Könnte mir denken, dass es hilft.«
»Du hast Recht, Arno! Am besten mach ich das sofort.«
Vanessa sprang auf, setzte sich an den Schreibtisch, klappte ihr Laptop auf und legte los. So konzentriert, dass ich von jetzt auf gleich völlig abgemeldet war. Als ich mich in der Zimmertür noch einmal zu ihr herumdrehte, sah ich, wie ihre Zungenspitze zwischen den Metalldrähten der Zahnspange hervorblitzte, eifrig und vorwitzig, ganz so, als wolle sie helfen, die richtigen Formulierungen zu finden.
Auf dem Weg ins Parterre ging mir einiges durch den Kopf. Ein pubertierender Teenager, der seine Stiefmutter loswerden wollte, seinen Vater zu verlieren fürchtete und seinen dusseligen Schoßhund schon verloren hatte. Mit einer Zahnspange im Mund, für die er sicher gehänselt wurde, und jeder Menge Geld im Sparschwein, mit dem aber nichts wirklich Vernünftiges anzufangen war. Eine Zwölfjährige, deren Leben mit dem Tod ihrer Mutter aus den Fugen geraten war. Und die Zielscheibe ihres Grolls? Konnte mit all dem nicht umgehen, hatte mit ihrer trostlosen Kindheit irgendwo in einer kleinen, angestaubten Seitenkammer ihrer Seele immer noch mehr als genug zu tun, hatte wahrscheinlich eine Leiche im Keller und einen hartnäckigen Verehrer aus dem Holz verarbeitenden Gewerbe am Hals, ebenso anhänglich wie dämlich und potent. Und dann der liebe Jüjü, dem die eigene Restfamilie über den Kopf wuchs. So wie wahrscheinlich vieles andere auch, weshalb er seiner Leistungskraft mit Schnee aus der Tüte die Sporen gab und seine Reputation mit kostspieligen, außergerichtlichen Vergleichen vor hässlichen Kratzern bewahrte. Eins stand fest: Wenn das die heile Welt der Reichen, oder doch zumindest der Wohlhabenden, und der Schönen, oder doch zumindest der Geschönten, war, dann würde ich ab sofort mein kleines, mühseliges Detektivleben mit anderen Augen sehen. Und zwar mit ganz anderen.
29
Der Starnberger See glänzte in der frühen Nachmittagssonne. Weiße Pünktchen schnürten mit geblähten Segeln lautlos durch das tiefblaue Wasser, im
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