Katzendaemmerung
Brauen. »Ich will, dass wir jedes Risiko ausschließen. Und außerdem verdient diese Frau entsprechend ihrem Glauben eine richtige Erdbestattung, findest du nicht?«
»Ja …«, gab ich zögerlich zu, » … obwohl …«
»Obwohl?«
»Obwohl es mich erstaunt, dass ausgerechnet du Rücksicht auf Joys Glauben nimmst.«
Mias Lippen kräuselten sich amüsiert. »Jedem das seine«, antwortete sie. »Schließlich haben wir alle die gleichen Wurzeln.«
Nachdem ich nahe der Decke ein schmales Loch als Ablage für die ›MagLite‹ gebohrt hatte, begann ich auf der Gegenseite damit, eine längliche Grube auszuheben. In etwa vierzig Zentimeter Höhe erweiterte ich allmählich die Breite der Höhle, wodurch zuerst eine ebenerdige Nische entstand, die ich dann aber noch zusätzlich vertiefte. Mein Job erwies sich problematischer als vermutet. An manchen Stellen war der Boden so unerwartet hart, dass ich den Spaten teilweise wie eine Spitzhacke einsetzen musste. Die feuchtmodrige Luft und die ungewohnt schwere Arbeit ließen mich schon nach wenigen Minuten wie in einer türkischen Sauna schwitzen.
»Klasse!«, fluchte ich laut, während ich schwere Erde in den Gang hinter mir beförderte. Da hatte ich mir gerade erst erfolgreich zwei Liter Blut von der Haut gescheuert, nur um kaum eine Stunde später wieder so auszusehen, als hätte ich eine Doppelschicht lang in einem Kohleflöz geschuftet! Keuchend schüttelte ich den Kopf. Die schräg einfallenden Lichtstrahlen verwandelten meinen Schatten ins Gigantische; ein Effekt, wie in einem klassischen Horrorfilm. Ähnlich wie einst Boris Karloff in ›Der Leichendieb‹ schaufelte ich heimlich ein Grab aus. Nur mit einem kleinen Unterschied: Karloff leerte die letzte Ruhestätte, ich dagegen war dabei, sie erst zu füllen. Und außerdem , so sagte ich mir eindringlich, ist dies hier kein Film. Trotz überzeugender Licht- und Toneffekte spielst du hier vor keiner Kamera. Der graue Plastiksack dort oben enthält eine richtige Leiche. In meinem ganz persönlichen Film existierten keine Special-Effects; kein unsichtbarer Regisseur würde jemals das erlösende »Cut!« rufen. Der Tod war blutige Wahrheit.
Als das Grab endlich eine ausreichende Tiefe erreicht hatte, versperrte mir die aufgeworfene Erde fast den Weg zum Ausgang. Mühsam kroch ich darüber hinweg und tastete mich zurück zur Luke.
»Ich brauch’ die Eimer«, rief ich Mia zu.
Ich steckte den Kopf durch den Fußboden und schaute mich überrascht um. Außerhalb der Gruft war mittlerweile der Tag angebrochen. »Oh verdammt!«, entfuhr es mir. »Wie spät ist es denn schon?«
Mias kauernde Gestalt blieb trotzdem noch eine grauschwarze Silhouette.
»Kurz nach fünf«, entgegnete sie, »wir müssen uns beeilen.«
Während das stärker werdende Licht die Backsteinruinen bereits ihres nächtlich-gotischen Charmes beraubt hatte, harrten im Inneren des Busses selbst jetzt noch tiefe Schatten aus. Wie zähe Spinnweben klebten sie in den Ecken.
Innerhalb der nächsten Viertelstunde trug ich etwa die Hälfte des Erdwalls ab. Mia nahm die vollen Eimer entgegen und entleerte sie einfach durch die zerbrochenen Fenster nach draußen. Glücklicherweise war die Erde recht feucht (vermutlich verlief in der Nähe eine Wasserader), sodass keine verräterischen Staubwolken entstanden.
Schließlich zogen wir den Plastiksack gemeinsam zur Bodenöffnung und zwängten ihn nach unten. Joys Körper war zwar deutlich schlanker als meiner, da ihre Arme aber seitlich an der Hüfte lagen, wurde es doch eng. Die anstrengende Grabarbeit und die Erlebnisse zuvor hatten mich jedoch so abgehärtet, dass ich unbeirrt so lange zog, bis das Paket mit einem dumpfen Aufprall vor meinen Füßen landete.
Dieses Mal hatte das Plastik der groben Behandlung nicht völlig widerstanden. Als ich den Sack am Kopfende anhob, entdeckte ich seitlich einen etwa zehn Zentimeter langen Riss. Undeutlich konnte man Joys aufgeschürften Ellbogen erkennen. Für ein paar Sekunden starrte ich wie hypnotisiert auf dieses bloßgelegte Stück Haut. Plötzlich hielt ich kein anonymes Stück Sondermüll mehr in meinen Händen; es war unbestreitbar ein menschliches Wesen.
»Träumst du?«, unterbrach Mia meine abschweifenden Gedanken. Sie kniete vor der Luke und blickte mich finster an. »Die Sonne geht bald auf. Wenn wir nicht langsam von hier verschwinden, leisten uns vielleicht ein paar Penner Gesellschaft.«
»Kein Problem«, gab ich zurück, »bin schon auf dem
Weitere Kostenlose Bücher