Katzendaemmerung
mit den Sohlen zu ertasten. Wenn ich mit meiner Last schwer stampfend in unsichtbare Senken oder vor Gerümpel trat, gelang es mir meist nur knapp, mein Gleichgewicht zu halten. Immer lauter ächzend strauchelte ich hinter Mia her. Meine Führerin hatte schließlich ein Einsehen. Seufzend ging sie zu mir zurück und drückte mir eine ›MagLite‹ in die Hand.
»Achte aber wenigstens darauf, den Strahl nicht zu hoch zu halten«, ermahnte sie mich.
Sprachlos, wie ich war, konnte ich nur nicken. Sogar an eine Taschenlampe hatte sie gedacht. Ich fokussierte einen möglichst schwachen Lichtkegel und ließ ihn schräg vor mich auf den Boden fallen. Da Mia sofort wieder weitermarschiert war, musste ich jetzt einen zügigen Zwischenspurt einlegen, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Die Lampe war nur für mich gedacht; Mia glitt auch ohne eine derartige Hilfe geschmeidig durch das Labyrinth der Trümmer. Wie auf unsichtbaren Schienen. Die Finsternis existierte für sie nicht. Nachtaugen , dachte ich, Katzenaugen.
Als ich es nach dem Überschreiten einer halb zerfallenen Mauer erstmals wieder wagte, nach vorne zu schauen, wurde mir schlagartig das Ziel unserer nächtlichen Wanderung klar. Mia lief genau auf die Senke zu, in der sich das Buswrack befand, ein Ort, mit dem mich bittersüße Erinnerungen verbanden. Sollte Joy etwa ein Mausoleum und kein Grab erhalten? ›Nein‹, sagte ich mir. Man konnte es wohl kaum riskieren, eine Leiche einfach in diesen Blechverschlag zu legen. Zudem trug Mia den Spaten ganz gewiss nicht ohne Grund bei sich.
Meine Überlegungen sollten sich als gleichermaßen richtig und falsch herausstellen. Kurz vor der halb heraushängenden Bustür blieb meine Führerin stehen, spähte kurz in alle Richtungen und winkte mich dann zu sich heran. Nur recht zögerlich beleuchtete ich mir einen halbwegs sicheren Weg zu ihr hinunter. Was hatte sie nur vor? In dieser Gegend gab es doch sicher Dutzende von versteckten Mauernischen, hinter denen man eine Leiche verschwinden lassen konnte; warum also ausgerechnet hier?
Schwitzend stapfte ich weiter. Die Sache hatte auch ihre gute Seite; immerhin würde ich endlich von meinem unhandlichen Gepäck befreit werden. Ganz allmählich gewann ich nämlich den Eindruck, nicht Joy, sondern ein besonders abschreckendes Beispiel einer gescheiterten ›Weight-Watchers‹-Diät zu schleppen. Die Stiche in der Schulter erreichten fast die Qualität der schmerzhaften Hilferufe meiner übersäuerten Beinmuskeln. Vor dem Bus ließ ich das Bündel daher auch höchst unsanft zu Boden gleiten.
»Und nun?«, fragte ich kurz.
Anstatt zu antworten, packte sich Mia die schmale Seite des Sacks und schleifte ihn rückwärtsgehend zur Tür. Sie stand bereits auf der ersten Stufe, als ich endlich reagierte. »Was? Aber wieso …?«, stotterte ich. »Was willst du denn mit der Leiche im Bus? Dort liegt sie doch geradezu wie auf dem Präsentierteller!«
Meine Partnerin schenkte mir den Anflug eines wissenden Lächelns.
»Spar’ dir deinen Atem lieber für die noch anstehende Arbeit«, sagte sie. »Und hilf’ mir endlich, damit ich dieses sperrige Ding hier heraufgehievt bekomme.«
Ich sprang sofort zu ihr hin und schob einen Teil des Sacks zu ihr auf die zweite Stufe. Das Plastik gab ein unangenehm reißendes Geräusch von sich, als es über die Metallkante der Treppe rutschte. Da der Sack trotz allem unversehrt blieb, bezog ich das Reißen auf seinen Inhalt, auf überdehnte Sehnen, Bänder und Muskelstränge, auf totes Fleisch, dessen Haut wie bei einer Brühwurst überall aufplatzte.
Mia kletterte die letzte Stufe hinauf auf die Plattform, und gemeinsam zwängten wir Joys sterbliche Überreste durch die schmale Öffnung der Tür. Mangels einer bequemen Sitzgelegenheit ließ ich mich kraftlos auf dem kühlen Boden nieder und schloss die Augen.
»Geht diese verfluchte Nacht denn nie zu Ende?«, stöhnte ich.
Mia hockte sich neben mich. Ich spürte, wie sie sanft mein Haar streichelte. »Kämpfe gegen die Schwäche an, Liebling«, sagte sie. »Noch ist unsere Aufgabe nicht erfüllt. Du kannst dich lang’ genug ausruhen, wenn wir das hier hinter uns haben.« Sie umfasste meine Hand und zog mich langsam wieder hoch. »Komm, ich will dir etwas zeigen.«
Meine unermüdliche Antreiberin ging fast bis zum anderen Ende des halbierten Vehikels hinüber; kurz bevor eine solide Hauswand den Durchgang zum Fahrer versperrte, wies sie mich an, eine bestimmte Stelle am Boden zu
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