Katzendaemmerung
wüsste ich ein schöneres Fleckchen. Hier oben ist es mir zu staubig.«
Seufzend schüttelte ich den Kopf – eine Geste, die mir in ihrer Gegenwart schon langsam zur Gewohnheit wurde. Ich wendete den Wagen und registrierte zufrieden, dass es nun endlich bergab ging. Auch wenn die Talfahrt jetzt deutlich schneller verlief, vergaß ich nie, den Geo vor jeder Kurve gefühlvoll abzubremsen. Schließlich hätte es wenig Sinn gemacht, Joys Wagen ordentlich zu parken, nur um sich anschließend selbst einen Freiflug in den Abgrund zu verschaffen.
Als die flacher werdende Straße im unteren Teil nicht mehr meine ganze Konzentration forderte, wanderten meine Gedanken unweigerlich zu meiner so geheimnisvollen, vielgesichtigen und in jeder Hinsicht aufregenden Freundin.
Wer bist du, Bastet-Sachmet-Tascha-Mia? , fragte ich mich. Wer bist du ›wirklich‹? Ein weinender Engel oder eine blutrünstige Bestie; eine sextolle Nymphomanin oder eine eiskalte Mörderin? Hinreißende Geliebte oder Dämon? Weiß oder Schwarz? Wie schon so viele Male zuvor fand ich auch diesmal keine eindeutige Antwort auf diese Fragen.
Erfolgreich meisterte ich die letzte Kehre; zur Belohnung gab ich dem kleinen Geo auf dem Reststück zur Interstate freien Auslauf. Ich wechselte vom Brems- aufs Gaspedal, und schon hüpfte das Gefährt freudig über den Schotter. Hinter uns sah es aus, als stünde der halbe Berg in Flammen. Schade, dass es nur Staub ist , ging es mir durch den Kopf.
Ich folgte der ›I10‹ schon wieder eine ganze Weile in westlicher Richtung, als ich einen Blick auf meine ungewohnt schweigsame Beifahrerin warf. Mia hatte das Fenster geöffnet und ließ sich ihren kurzen Blondschopf noch weiter vom Wind zerzausen. Sie hatte die Augen geschlossen. Durch das rhythmische Wiegen ihres Kopfes erkannte ich aber, dass sie nur leicht döste. Summte sie im Geist vielleicht eine Melodie? Eingehend studierte ich die sanften Linien ihres leicht gebräunten Gesichts. Die glatte Stirn, ihre delikaten Wangenknochen, die zierliche Stupsnase, die vollen, sinnlichen Lippen, das schmale, zuweilen spöttisch vorgestreckte Kinn.
Vielleicht war die Antwort auf meine Frage leichter als vermutet, dachte ich. Mia ließ sich vielleicht aus einem ganz einfachen Grund keiner ihrer so verschiedenen Wesenszüge zuordnen. Ich zögerte, den Gedanken fortzuführen. Die Lösung war eigentlich recht banal. Konnte es sein, dass ich bislang stets nur die Facetten ein und derselben Persönlichkeit erlebt hatte? War es möglich, dass Mia alles in sich vereinte – Teuflisches und Göttliches –, dass gerade die Widersprüche und Gegensätze ein typisches Merkmal ihres Wesens waren? Diese Möglichkeit warf eine weitaus unbequemere Frage auf: Wenn dem so war (Und warum sollte ich daran zweifeln? Schließlich hatte mir Mia selbst von der Gespaltenheit ihrer göttlichen Herkunft gebeichtet.), welche Konsequenzen würde ich daraus ziehen?
Die Lichthupe eines entgegenkommenden Wohnmobils riss mich unsanft aus meinen Grübeleien. Ich sah nach vorne und bemerkte erst jetzt, dass ich halb auf der linken Seite fuhr. Drei Meter vor dem mittlerweile wild hupenden Camper riss ich den Wagen scharf nach rechts. Durch Bremsen, Gegenlenken und Gasgeben geriet der Geo an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Mit quietschenden Reifen schleuderte der Wagen auf den unbefestigten Seitenstreifen und von dort wieder zurück auf die Straße. Mia, die zuerst hart gegen mich und dann gegen den Türrahmen geschleudert wurde, fuchtelte schreiend mit den Armen.
»Heeeh, was ist los, verdammt? Willst du uns etwa umbringen?«
»Nein, nein, alles okay«, antwortete ich möglichst ruhig, »bin nur ‘ner alten Krötenechse ausgewichen.«
»Mann-oh-Mann«, stöhnte Mia, »am Ende bist du tatsächlich noch Mitglied im ›WWF‹.«
Ich musste lächeln; einmal, weil sie meine Lüge geschluckt hatte und zum anderen, weil sie Erinnerungen in mir wachrief. »Wie ich dir schon mal vor langer Zeit erklärte, sind mir die drei Buchstaben durchaus vertraut.« Es war gleich bei unserem ersten Treffen gewesen. Draußen im Sherman-Park. Die Worte unserer hitzigen Diskussion über die Ethik des Pelztierhandels klangen mir noch immer in den Ohren. Taschas wundervoll erregte Stimme. »Ich gehöre halt nicht zu den Leuten, die ›WWF‹ für die Abkürzung eines – wie sagtest du damals? – Fernsehsenders halten.«
»Radiosender«, verbesserte sie mich verblüffend präzise. Für beide von uns schien die
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