Katzendaemmerung
du sicherlich die wichtigsten religiösen Schriften des Abend- und Morgenlandes zitieren könntest. Aber wenn selbst Priester und Heilige, ja selbst Jesus am Kreuz, die Existenz Gottes anzweifeln, warum sollte dann ein so kleines Licht wie ich nicht auch gelegentlich manchen Dingen argwöhnisch gegenüberstehen dürfen?«
Mia starrte mich mit einem nachdenklichen Lächeln an. »Thomas, du erstaunst mich«, verkündete sie schließlich.
Mir ging es da kaum anders. Als ich meine eigenen Worte im Geist nochmals Revue passieren ließ, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nicht vielleicht doch etwas auf der Straße gelesen hatte. Doch welche verborgenen Quellen ich auch angezapft haben mochte, immerhin hatte es zu einer Entschärfung der Fronten geführt.
Noch immer lag jenes undefinierbare Lächeln auf Mias Lippen. »Weißt du was, Thomas Trait …?«, begann sie schließlich. Ich zog als Antwort lediglich erwartungsvoll die Brauen hoch. Wir passierten gerade die Abfahrt nach Coachella; von nun an verlief die ›I10‹ wieder deutlicher in nördlicher Richtung. Die Farbe des Himmels verlor mehr und mehr an Kraft; schon vor über einer halben Stunde hatte ich das Licht einschalten müssen. Mias Hand berührte sanft meinen Arm. »Ich hätte es zwar nicht gedacht«, hörte ich ihre leise Stimme, »aber es gibt immer noch Seiten an dir, die ich nicht kenne.«
Jetzt musste auch ich lächeln. »Wirklich? Nun, das beruht voll und ganz auf Gegenseitigkeit.« Eine Tatsache, die mir erst vor wenigen Minuten noch als äußerst bedenklich erschienen war, erheiterte mich plötzlich. Sie rückte noch ein Stück näher zu mir heran. »Na, das klingt doch höchst vielversprechend, findest du nicht?« Ihr Atem war wie die Liebkosung eines Phantoms. »Es wäre doch wirklich zu schade, wenn wir nicht zusammenblieben.«
Ich schaltete unnötigerweise in den dritten Gang herunter, um durch die Bewegung ein wenig Abstand von ihr zu bekommen. »Ja«, nickte ich, »du hast recht. Auch ich wünsche mir, dass diese verrückte Sache zwischen uns nie zu Ende geht. Das Problem ist nur, ich weiß nicht, wie dies gelingen sollte.«
»Was?« Sie lachte ein wenig zu laut. »Du weißt nicht wie? Aber … ich verstehe nicht … das ist doch ganz einfach.«
»Ja, findest du?« Meine Stimme blieb überraschend beherrscht. »Ich sehe das nämlich ein wenig anders. Ich betrachte unsere Beziehung als ganz und gar nicht einfach .«
Wie auf ein Zeichen hin tauchte in diesem Moment die Ausfahrt für einen unbefestigten Behelfs-Parkplatz auf. Sofort setzte ich den Blinker und ließ den Geo auf dem schmalen Standstreifen ausrollen. Ich konnte eine derartige Diskussion nicht weiter beiläufig während einer Autofahrt führen. Da sich niemand sonst auf dem Parkplatz befand, stellte ich mich quer in die Mitte und schaltete das Licht aus.
Für eine Weile saßen wir nur stumm da und starrten auf die im Dämmerlicht liegenden Sträucher und Felsen. Zusammen mit ihren Schatten wirkten manche Gebilde wie kauernde Tiere.
Es war Mias Stimme, die schließlich die Stille durchbrach. »Was ist es, was dich bedrückt, Thomas? Sag’ es mir.«
Verzweifelt versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. »Das fragst du noch? Was haben wir denn jetzt gerade erst gemacht? Und was in der vergangenen Nacht? Meinst du wirklich, ich könnte danach einfach wieder zur Tagesordnung übergehen? Ich habe, was dich betrifft, schon eine ganze Menge auf mich genommen, aber immer wenn ich denke, jetzt ist alles okay, passiert etwas Neues. Verstehst du? Es hört einfach nicht auf. Ich überrasche mich manchmal schon bei dem Gedanken: ›Was kommt jetzt noch? Kann es noch schlimmer werden?‹ Ich kann dir nicht sagen, wie lange ich diese Tortur noch durchstehen kann. Trotz allem, verstehst du? Verdammt, ich weiß es einfach nicht!« Gegen meinen Willen war ich zum Ende hin immer lauter geworden. Die aufgewühlten Emotionen hatten meine Stimmbänder rau werden lassen. Nur zu gerne hätte ich jetzt einen Schluck Wasser getrunken.
Mia berührte leicht meine Seite. »Heh, schau’ mich an, Thomas!«
Als ich nicht direkt reagierte, umfasste sie meine Schultern und drehte mich zu sich herum. Bis auf ihre glitzernden Augen war ihr Gesicht eine schwarze Maske. Es fiel schwer, darin zu lesen.
»Es ist vorbei«, sagten die Lippen der Maske.
Ich wusste nichts mit der Endgültigkeit anzufangen, die hinter diesen drei Worten stand. Für einen kurzen Moment glaubte ich, Mia spräche von unserer
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