Katzendaemmerung
auch jetzt noch nicht begreifen, dass ich einen nicht unbeträchtlichen Anteil an ihrer Auferstehung hatte. Mit aufmerksamem Blick vollführte ich langsam eine 360°-Drehung. Das in der Schatzkammer herrschende Chaos stellte sich als Trugschluss heraus. Alle Statuen, Vasen, Truhen und andere Objekte waren genau auf die Mitte des Raumes hin ausgerichtet worden. Sie wirkten dadurch wie Zuschauer in einem Amphitheater.
Nachdenklich starrte ich den Kopf eines sitzenden Schakals an; seine langen, spitz aufgerichteten Ohren sahen aus wie Hörner. Wo liegt das wahre Geheimnis dieser Kammer? , fragte ich ihn stumm. Was ist es, was selbst ich nicht wissen darf? Warum sonst hätte Bastet ihren Sarx-Ritus umständlich an einen anderen Ort verlegen lassen sollen?
Der spitzohrige Anubis teilte sein Wissen nicht mit Sterblichen. Seine kalten, kobaltblau umrahmten Augen sahen teilnahmslos durch mich hindurch.
Ein schwaches Geräusch in meinem Rücken ließ mich zusammenfahren. Ein kaum wahrnehmbares Rascheln. »Mia?«, entfuhr es mir fast automatisch. Ich drehte mich um und inspizierte gründlich jeden Gegenstand, jede Lücke dazwischen, jeden Schatten. Nichts. Alles um mich herum verharrte in tiefem Schweigen, beobachtete mich aus toten Augen. Das schlechte Gewissen ließ meine Nervosität nur langsam abklingen; wenn ich etwas um jeden Preis vermeiden wollte, so war es, von Mia dabei erwischt zu werden, wie ich frevlerisch in ihrem Tempel herumwühlte.
Das Geräusch wiederholte sich nicht. Hatte ich es mir vielleicht nur eingebildet? Schon möglich, vielleicht arbeitete aber auch nur das Jahrtausende Jahre alte Holz.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Thron und bemerkte erst jetzt, dass jemand oder etwas auf ihm saß. Um genau zu sein, stand es auf ihm. Das, was ich bislang für eine Schnitzerei der Rückenlehne gehalten hatte, entpuppte sich als eine rotbraune Terrakotta-Figur.
»Verdammt!«, rief ich erstaunt aus. Auch diese Statue war mir wohlbekannt; diesmal hatte sie aber nichts mit irgendwelchen Sarx-Bräuchen zu tun. Schon ein Jahr zuvor war sie mir begegnet. Dort, an dieser exponierten Stelle, befand sich nichts anderes, als jene merkwürdige Katzenfrau, die ich einst unvorsichtigerweise aus Taschas Regal genommen hatte. Ein schlanker Frauenkörper mit einem Katzenkopf. Das seltsame Gebilde, welches sie in ihrer Hand hielt, war, wie ich mittlerweile wusste, keine Vase, sondern ein Sistrum.
Noch deutlich erinnerte ich mich daran, wie besorgt und aufgeregt sich Tascha damals verhalten hatte, als ich das Ding unbekümmert untersuchte. Ich hatte die Figur für eine ihrer angeblichen Kopien gehalten und sie respektlos hin und her gedreht, wie eine x-beliebige Porzellanpuppe made in Hongkong.
Damals , dachte ich wehmütig, als du noch keinen Schimmer davon hattest, wer deine neue Freundin wirklich war.
Kennst du sie denn jetzt? , wollte eine andere Stimme in mir wissen. Eine knifflige Frage. Betrachtete man das, was ich gerade hier entdeckt hatte, so musste ich sie wohl verneinen. Hinsichtlich einer Sache war ich mir allerdings sicher: Bastets Domizil beherbergte ausschließlich Originale. Die Bezeichnung ›Kopie‹ traf allerhöchstens auf einige der noch unübersetzten Schriftfragmente zu.
Ich kniete mich vor den Thron und studierte die Skulptur genauer. Da ich das betreffende Regal nie mehr nach der Katzenfrau durchsucht hatte, war es möglich, dass sie sich seit dieser Zeit hier befand. Tascha hatte sie offenbar vor mir in Sicherheit gebracht. Doch warum? Was unterschied dieses Objekt von all den anderen, die überall verstreut in der ganzen Wohnung standen? Verglichen mit Statuen aus Bronze, vergoldetem Holz oder Fayence nahm sich diese Terrakotta-Figur doch eher bescheiden aus.
Was ist es, was ich übersehe? , grübelte ich. War die Katzendame etwa mit Rohdiamanten gefüllt? Ich wollte die Plastik gerade ergreifen, um sie probehalber zu schütteln, als das Rascheln wieder erklang.
Es war eher ein Rasseln. Das leichte Schütteln eines Sistrums.
Da ich genau vor ihr hockte, fiel meine Katzenfreundin als Urheberin schon einmal aus. Geniale Schlussfolgerung, Mr. Holmes , gratulierte ich mir ironisch. Zudem hatte ich das Geräusch weiter rechts geortet.
Immer noch kniend spähte ich in die vermutete Richtung. Seltsamerweise verspürte ich keine Angst. Der Dschungel, den diese Löwen, Kobras und Schakale hier bildeten, bedeutete keine Gefahr. Er war erstarrt. Tot. Wie eines der Dioramen im ›Museum of Natural
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