Katzendaemmerung
Hinterhoffenster stehen und schob mit zitternden Händen die Jalousien zur Seite. Ist DAS vielleicht deine Zukunft?, fragte ich mich. Ein sonnenbeschienenes Trümmerfeld?
Auf den ersten Blick wirkte es friedlich, ja romantisch, bei genauerer Betrachtung enthüllte sich jedoch ein Meer der Verwüstung und des Verfalls. Und doch war selbst dieses chaotische Bild kaum mehr als eine Fassade , dachte ich. In Wahrheit sah ich auf einen Friedhof, einen verwunschenen Ort, auf dem nicht nur Häuser begraben lagen.
Ich brauchte bis zum Mittag, um mir über meine aktuelle Situation klar zu werden. Bastet hatte um meinetwillen ihre Blutgier gezügelt, nicht jedoch ihre Lust auf andere Körper. Wenn ich weiter mit ihr zusammenleben wollte, musste ich wohl oder übel akzeptieren, dass eine Person allein ihren Hunger nach Sex nie würde stillen können.
Was regst du dich überhaupt auf?, sagte ich mir schließlich. Hatte Bastet nicht bereits zugegeben, auch schon als Natascha neben mir noch unzählige andere amouröse Abenteuer gehabt zu haben? Im Grunde hatte sich also nichts geändert. Nichts, bis auf eine Kleinigkeit: Diesmal wusste ich davon.
Mehrere Male versuchte ich vergeblich, mich auf die Auswahl geeigneter Dia-Abzüge für eine ›Ocean-Spray-Anzeige‹ zu konzentrieren. Es wollte einfach nicht gelingen. Stets musste ich daran denken, was Mia womöglich in diesen Minuten tat, in welchen Armen sie lag. Vorstellungen, die meinen Blutdruck in ungesunde Höhen trieben.
Als Mia am frühen Abend gut gelaunt wieder auftauchte, tat ich allerdings so, als habe ich ihre Abwesenheit kaum bemerkt. Tief gebeugt über einem wirren Puzzle aus Fotos rief ich ihr nur ein beiläufiges »Hi!« zu; ungefähr so, als wäre sie gerade vom Kino um die Ecke gekommen. Die sonst übliche Floskel »War’s schön?« verkniff ich mir jedoch.
Ich hatte meine Lehren aus Taschas Schicksal gezogen; Misstrauen und Eifersucht waren schlechte Ratgeber. Doch jetzt, wo alle Karten auf dem Tisch lagen, wurde die Sache verrückterweise nicht einfacher. Die Wahrheit ist ein unbequemes, selbstherrliches Geschöpf, ohne jedes Gespür für Takt oder Höflichkeit. Wie ein ungehobelter Bauerntrampel auf einem Opernball stampft sie mit schweren Holzschuhen durch die Reihen der Tanzenden und schreit: ›Na, wer wagt eine Polka mit der guten, alten Truthy? Niemand? Na, dann macht aber mal einen großen Bogen um mich, wenn euch eure zarten Füßchen etwas wert sind.‹Die eleganten Tänzer versuchen diese dickbäuchige Cinderella mit ihrer Flickenschürze und den verstaubten, wirren Haaren so gut es geht zu ignorieren. Sie vollführen schwungvolle Pirouetten und Promenaden, aus den Augenwinkeln heraus beobachten sie aber doch das Treiben der seltsamen Alten. ›Wie mag sie wohl hier hereingekommen sein?‹, fragen sich viele. ›Und warum nur entfernt niemand dieses widerliche Geschöpf?‹ – Ungehindert jagt sie nun sogar laut kreischend hinter einigen Paaren her. Diejenigen, die ihr unbeabsichtigt oder bewusst zu nahe kommen, bezahlen ihren Übermut mit blutigen Füßen. Unter den großen Holzpantinen verwandeln sich schwarzes Lackleder und strassbesetzte High-Heels zu unansehnlichen Klumpen. Das knackende Geräusch brechender Zehen mischt sich unter die Klänge der Musik. – Im Zentrum des Balls droht eine Panik auszubrechen; schreiende und blutende Menschen überall. Nur diejenigen, die klug genug waren, einen großen Abstand zu ›Truthy Adamant‹ zu halten, drehen auch jetzt noch ihre Kreise. Grinsend beobachten sie, wie schließlich Wachleute die gefährliche Verrückte vom Parkett schleifen.
Wo tanzte ich auf diesem Ball? , fragte ich mich. Schon einmal hatte ich mir blutige Füße geholt, weil ich unbedingt der hässlichen Alten ins Gesicht sehen wollte. Warum also eine Wiederholung riskieren? Diesmal reichte es vollkommen aus, ganz am Rand der Tanzfläche zu bleiben, den Kopf gesenkt. Die Liebste in meinen Armen wagte ich immer nur dann anzuschauen, wenn ich der kreischenden Alten gerade den Rücken zukehrte.
Es war eine heuchlerische Haltung, ein fauler Kompromiss und – wenn ich ehrlich war – auch Selbstbetrug, doch ich sah darin überhaupt die einzige Chance, um Mias Exzesse ertragen zu können.
Denk’ einfach nicht drüber nach , sagte ich mir einfach. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man auf diese Weise möglicherweise ganz passabel leben. Für eine Weile erwies sich meine Taktik als erfolgversprechend, doch dann spürte ich, wie
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